UK: „Fasten your seatbelt, it’s going to be a rough ride!”

Nach dem Brexit-Votum und der Neuwahlausrufung durch Theresa May ist die politische Zukunft des United Kingdom ungewisser denn je. Eine Analyse von Wolfgang Geißler.

Theresa Mays Flucht nach vorne ist gelungen. Das Parlament des heute vielleicht noch Vereinigten Königreichs hat sich mit 522 Stimmen und nur 13 Gegenstimmen, einer Mehrheit von 509, für vorzeitige Wahlen an einem Donnerstag, den 8. Juni 2017 entschlossen.

Man bedenke: Am 23. Juni 2016 votierten 52% der Briten – Wahlbeteiligung 72% – für den Austritt aus der EU. Ende März 2017 beantragte die britische Premierministerin den Austritt aus der Europäischen Union gemäß Artikel 50 des Lissaboner Vertrags. Am 18. April, einem etwas windigen Tag, präsentierte sich die Premierministerin mit coolem aber zerzausten Kurzhaarschnitt vor Number 10, Downing Street der wartenden Journalistenmeute und verkündete in vielen schwulstigen Worthülsen verkapsuliert: die nächsten Parlamentswahlen werden am 8. Juni 2017 abgehalten. Theresa May will ihre Position bei den bevorstehenden BREXIT Verhandlungen stärken („British prime minister says election needed because country is coming together but Parliament is not” – „Das Land ist sich einig, das Parlament aber nicht”). Im eigenen Lande könnte das gelingen. Es ist aber nicht zu erwarten, daß die EU ihre Verhandlungsstrategie ändern wird.

Interessant ist jedoch, dass Jeremy Corbyns Labour Party mit großer Mehrheit (nebenbei auch die Liberal-Democrats, die dadurch sofort 5000 Mitglieder bekamen, nur die Scottish National Party enthielt sich der Stimme) für die Neuwahlen optiert hat, was den ehemaligen Toryminister Swayne zu der Bemerkung hinreissen ließ, dass Labour wie Truthähne wären, „who were voting for Christmas“, die also „für Weihnachten stimmen würden“. Bekanntlich werden zur Weihnachtszeit auf der Insel Kohorten von nichtsahnenden Puten geschlachtet, um die Bäuche der Briten in gebratener Form als „Roast Turkeys“ am Christtag vollzuschlagen. „Turkeys voting for Christmas“ ist ein Synonym für ein irrational suizides Verhalten, das in der Politik nicht ganz unbekannt ist. Man denke nur an unsere putzigen Grünen in der schönen Wienerstadt. Swaynes Urteil kann man also durchaus nachvollziehen, denn es ist zu erwarten, dass der unfähige Chef der Labourparty, Jeremy Corbyn, als Altmarxist schon ein wahres Fossil, am 8. Juni nicht einmal einen ausgetrockneten Blumentopf gewinnen wird.

Was nun?

Das Vereinigte Königreich steht vor einer wahren Zereißprobe. Es wird viel vom Britischen Volk gefaselt oder der Britischen Nation! Zum Beispiel: „Das Volk hat gesprochen“. Ein einziges britisches Volk oder „Nation“ gibt es aber ebensowenig wie früher es ein einziges österreichisch-ungarisches Volk gab. (Vgl. Adresse des Kaisers: „An Meine Völker“). Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland hat vier Staatsvölker oder Nationen: ein Englisches, ein Walisisches, ein Irisches, und ein Schottisches. Das Vereinigte Königreich ist also ebenfalls wie einst Österreich-Ungarn ein Vielvölkerstaat.

Während am 23.6.2016 die Mehrheit in England und Wales für den BREXIT gestimmt hat, waren die Wähler in Schottland (62%) und Nordirland (56%) mehrheitlich dagegen. BREXIT Gegner haben eine Mehrheit in den Parlamenten in Edinburgh und Belfast. Wirklich beunruhigend ist die etwas erschütternde Tatsache, dass die ungeheuer, ja katastrophal negativen Auswirkungen des BREXITS für Nordirland aber auch dem Süden der irischen Insel vor dem Referendum während der Debatten nicht einmal erwähnt worden sind. Ganz zu schweigen von den armen Einwohnern von Gibraltar, die zu 96% gegen den BREXIT gestimmt haben! Das sagt doch etwas über das vorherrschende Demokratieverständnis Westminsters aber auch die kolonialherrliche Überheblichkeit der Engländer gegenüber ihren anderen Völkern.

Wie schon gesagt, was nun? Die Tories werden am 8. Juni mit nahezu absoluter Sicherheit als die großen Gewinner die Walstatt verlassen, wenngleich wir nur von England sprechen können, denn Schottland war nie ein gesundes Pflaster für die Blauen (die Farbe der britischen Konservativen), doch die Lib-Dems hatten dort noch vor vielen Jahren große Erfolge vorzuzeigen. Die (Scottish) Labour Party, als unverhohlene Unionistenpartei (pro-britisch) und BREXIT Befürworter wird zwischen den Blöcken der pro-europäischen Scottish National Party und den wieder erstarkten ebenfalls pro-europäischen Liberal-Democrats aufgerieben werden. In England werden aber viele enttäuschte pro-europäische Labourwähler aber auch Tories den Liberalen die Stimme schenken.

Am 29. April hat die EU die Richtlinien für die Austrittsverhandlungen verkünden. Die 27 sind sich derzeit einig. Ich gehe davon aus, es wird dabei bleiben, es sei denn, so Gott behüte, Marine Le Pen gewinnt die Präsidentenwahl in Frankreich! Das Vereinigte Königreich darf keine besseren Bedingungen bekommen, als zur Zeit der Mitgliedschaft. Das heißt:

  • Zähe Verhandlungen über Geld. Scheidungen sind immer teuer. Die EU muss 16% des EU Haushalts ausgleichen. Länder wie Österreich wollen nicht mehr zahlen.
  • Kein neues Abkommen bis die Umrisse der Scheidung klar sind.
  • Verluste für die City of London.
  • Erschwerter Zugang zum Binnenmarkt.
  • Abwanderung von EU Institutionen wie European Banking Authority.
  • Sonderwünsche werden vorgetragen, wie etwa Spanien und Gibraltar.
  • Schwierigkeiten mit Nordirland und Schottland. Wann kommt das zweite Unabhängigkeitsreferendum?
  • Verhandlungen über den Status von EU Bürger im Großbritannien und umgekehrt.

Die Vehandlungsposition Großbritanniens ist, gelinde ausgedrückt, ziemlich schwach.

Ein überzeugender Torygewinn bringt, außer dem üblichen Sparprogramm („much of the same“), Kürzungen bei der NHS (Sozial- und Krankenversicherung), Infrastruktur, Spitäler, Schulen und Universitäten (Schottland als eine Art Autonomie –Devolution-wird bei den meisten Dingen nicht mitziehen müssen. Das hängt aber von den Ausgleichszahlungen Westminsters ab –Barnett Formula- hat somit eher einen begrenzten Budgetspielraum) aber erhöhte Ausgaben beim Kriegsspielzeug, um am Welttheater im Windschatten der USA teilnehmen zu können, vielleicht eine Aufweichung der gegenwärtigen harten BREXIT Mentalität, was eigentlich zu hoffen ist. Ansonsten sieht es schwarz aus: BREXIT bleibt BREXIT, daran wird wohl niemand mehr rütteln können. Das muss heißen, dass den Ländern Nordirland und Schottland, die unbedingt in der EU verbleiben wollen nur der Weg in die Unabhängigkeit, im Falle Schottlands oder einer blutigen Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik Irland offen zu bleiben scheint. Somit wird der Abgesang des Vereinigten Königreiches eingeläutet.

Wie ein Freund mir vorgestern sagte: „Fasten your seatbelt, it’s going to be a rough ride!”

Zum Autor: Der Paneuropäer Wolfgang Geissler ist Vorstandsmitglied der Austro-British Society (ABS) und lebte als Unternehmer 40 Jahre in England und Schottland.

Das Beitragsbild zeigt die britische Premierministerin Theresa May mit Kommissionspräsident Jean Claude Juncker beim Treffen Ende April in London. c Europäische Union 2017