Es war eine gute Entscheidung

Am 1. Jänner 2025 ist der 30. „Geburtstag“ der EU-Mitgliedschaft Österreichs. Der Weg dorthin war nicht immer einfach, aber sehr vernünftig. Nun wird es Zeit, die außen- und sicherheitspolitische Dimension der Europäischen Union zu gestalten. Ein Kommentar von Rainhard Kloucek

Eine zwei Drittel Mehrheit der Österreicher (also jener, die an der Volksabstimmung teilgenommen haben) entschied sich am 12. Juni 1994 für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Am 1. Jänner 1995 wurde die Alpenrepublik Mitglied, gemeinsam mit Finnland und Schweden. Am 13. Oktober 1996 wurden erstmals die österreichischen Mitglieder des Europäischen Parlaments direkt gewählt.

Der Weg dorthin war nicht immer einfach. Möglich wurde er durch geopolitische Veränderungen. Die Alpenrepublik hatte 1955 ganz freiwillig die immerwährende Neutralität erklärt. Diese freiwillige Neutralitätserklärung war die Voraussetzung für die Wiedererlangung der vollen staatlichen Souveränität und den Abzug auch der sowjetischen Besatzungsarmee.

Die europäische Einigung, die ursprünglich auf das in Wien vorgestellte Paneuropa-Konzept von Richard Coudenhove-Kalergi zurückgeht, begann im Westen Europas, nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die damals von sechs Staaten begründet wurde. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die Zeit der Teilung Europas, die Zeit des Stacheldrahtes oder des Eisernen Vorhangs, der Europa in zwei Teile trennte. Der freie Westen und der von Moskau kontrollierte Ostblock. Dazwischen lagen die neutralen Länder Österreich, Finnland und Schweden. Dann gab es da auch noch die Blockfreien, wie beispielsweise das kommunistische Jugoslawien.

Die Sechser-Gemeinschaft wuchs. Geografisch und inhaltlich. Von einer immer engeren Union ist in den Römischen Verträgen die Rede. Es ging nicht nur um eine wirtschaftliche Kooperation sondern auch um Politik. Der Beitritt Spaniens, Griechenlands und Portugals war eindeutig politisch motiviert. Alle drei Ländern standen viele Jahre unter Militärregierungen. Die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft sollte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in diesen Staaten festigen.

Als die FPÖ den Beitritt zur EG forderte

Österreich gehörte der EFTA (European Free Trade Association) an. Den Beitritt zur EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) oder dann zur EG forderte hierzulande nur eine Partei: die FPÖ. Aus heutiger Sicht erscheint das vollkommen absurd.

An den Universitäten gab es eine Studentenfraktion, die ebenfalls für den EG-Beitritt eintrat. Die JES-Studenteninitiative. Sie war damals bereits Mitglied der Paneuropa-Union, die ebenfalls für den EG-Beitritt Österreichs warb. Doch die Neutralität des Landes sprach für viele dagegen. Ein kleines Argument konnten die Vertreter dieser These für sich verbuchen: alle dann zwölf Mitgliedsländer der EG waren gleichzeitig auch Nato-Mitglieder.

Das änderte sich 1989 mit dem Paneuropäischen Picknick vom 19. August, das den Anfang vom Ende des Ostblocks einläutete. Es war das auch die Zeit, als Österreich noch einen Außenminister von geopolitischem Format hatte: Alois Mock. Er war einer der ersten, die das heranziehende Gewitter im alten Jugoslawien heraufziehen sah, setzte zahlreiche Initiativen, die von vielen Westeuropäern aber nicht oder erst zu spät geteilt wurden. So mancher Politiker in Westeuropa meinte, man wolle doch nicht mit dem Ende Jugoslawiens nun den Ersten Weltkrieg verlieren.

Auch in Österreich gab es nicht viele Politiker, die so wie Mock dachten. In der SPÖ herrschte noch eine Stimmung, die der einstige Außenminister Erwin Lanc (zumindest ist die Aussage dem Chronisten so in Erinnerung) mit den Worten ausdrückte: Einen Blödsinn können wir auch selber machen. Doch die politischen Umwälzungen in Europa sprachen für den Beitritt zur europäischen Einigung.

Vom westeuropäischen zum gesamteuropäischen Projekt

Mit dem Ende des Eisernen Vorhangs und schließlich auch der Auflösung der Sowjetunion 1991 war nun die europäische Einigung von einem westeuropäischen zu einem gesamteuropäischen Projekt geworden. Manche sprachen damals von einer Wiedervereinigung Europas. Österreich, das über Jahrzehnte im Osten an einer toten Grenze lag, profitierte enorm von der Ostöffnung und dem EU-Beitritt. Ein alter Kultur- und Wirtschaftsraum konnte wieder mit Leben erfüllt werden. Die schon vorhandene politische Dimension der europäischen Einigung (Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit) hatte die Chance, eine gesamteuropäische, eine paneuropäische Dimension zu entfalten.

Das Ende des Ostblocks und die Auflösung der Sowjetunion läuteten aber auch eine Fehlentwicklung in der europäischen Einigung ein. Die bei der Gründung der EGKS bereits vorhandene sicherheitspolitische Komponente wurde vernachlässigt. Man gab sich der Illusion hin, dass nun der ewige Friede ausgebrochen sei, Investitionen in die eigene Sicherheit nicht mehr notwendig seien. Die Friedensdividende wurde kassiert, der Wohlfahrtsstaat weiter ausgebaut.

Doch wie der konservative deutsche Publizist William S. Schlamm in seinem „Nachruf auf den Staat“ (publiziert in der von ihm gemeinsam mit Otto von Habsburg herausgegebenen Zeitschrift „Die Zeitbühne) bereits 1978 feststellte, braucht der Wohlfahrtsstaat keine Staatsmänner sondern Buchhalter. Ein Blick auf die zögerliche Politik Europas in der Unterstützung der Ukraine zeigt, dass die „Zeitenwende“, die Olaf Scholz vor fast drei Jahren proklamierte, in den Gedanken führender europäischer Politiker noch immer nicht angekommen ist.

Für Österreich war der Beitritt zur EU eine sehr gute Entscheidung. Auch wenn die Zustimmung der Österreicher und Österreicherinnen zur EU mit aktuellen 60 Prozent nicht gerade einen Höchststand erreicht, so ist sie doch eindeutig.

Kritik an politischen Fehlentscheidungen muss geäussert werden

Das soll nicht bedeuten, dass alles, was heute unter dem Titel EU läuft, bedingungslos unterstützt werden muss. Kritik an der EU-Politik ist nicht nur erlaubt, sondern auch notwendig. Es ist ja auch erlaubt und notwendig Kritik an der österreichischen Politik zu üben.

Vielfach wurden jene Tugenden, die Europa seine Weltstellung gebracht haben, vernachlässigt. Man denke an das Konzept der Ordnungspolitik, die einst das deutsche Wirtschaftswunder ermöglich hat, und das damit auch zu einem Erfolgsrezept für Europa wurde. Stattdessen wurde der Staat zum Retter in allen Lebenslagen hochstilisiert. Einen Anspruch, dem weder der Nationalstaat noch das Projekt Europäische Union gerecht werden können. Die egozentrische und ideologisch verblendete Sicht, wonach man mit feministischer Außenpolitik (um ein Beispiel zu nennen) die Welt nach der eigenen Ideologie gestalten könne, hat sich als massiver Irrtum herausgestellt.

Die Überbürokratisierung der Wirtschaft hat Europas Stellung in der Welt nicht verbessert. Im Gegenteil. Die Dynamik in anderen Weltregionen spiegelt sich unter anderem in einer Deindustrialisierung des alten Kontinents wieder. Mit dem ursprünglich französischen Konzept der Planification, also einer staatlich gelenkten Wirtschaft, wird man diese Entwicklung nicht aufhalten, und schon gar nicht umkehren können. Diese Umkehr wird wohl nur durch die gute alte Ordnungspolitik möglich sein: Rahmenbedingungen, in der sich eine Marktwirtschaft entwickeln kann, in der nicht jede Innovation schon besteuert und überreguliert wird, bevor sie überhaupt sich entfalten konnte. Und diese Umkehr wird notwendig sein, denn auch das europäische Wohlfahrtsmodell braucht eine funktionierende Wirtschaft. Die Illusion vom billigen russischen Gas, mit dem man sich die hohen Arbeitskosten aufgrund niedriger Einergiekosten leisten könne, war schon vor 25 Jahren eine Illusion.

Aussen- und Sicherheitspolitik

Wollen wir das Friedensprojekt europäische Einigung – das übrigens sehr erfolgreich, bisher aber nur nach innen gerichtet war – weiter entwickeln, wird es notwendig sein, die geopolitische Dimension dieses Projektes mit Leben zu erfüllen. Eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik muss endlich als vorrangiges Ziel der EU erkannt werden.

Österreich, das keinem Militärbündnis angehört, das sich seiner Kleinheit im großen Europa bewusst ist, das in der Mitte Europas gelegen durch den Binnenmarkt soviel profitiert hat, könnte hier eine impulsgebende Rolle spielen. Vor 30 Jahren hat man hierzulande bewiesen, dass man in die Zukunft denken kann. Nicht spricht dagegen, es heute wieder zu beweisen.

c Beitragsbild: Europäische Union 2019 Mauro-Bottaro