Belarus am Wendepunkt

Die politischen Entwicklungen in Belarus, das seit einem Vierteljahrhundert diktatorisch von Alexander Lukashenko regiert wird, standen im Mittelpunkt einer Online-Paneuropa-Veranstaltung.

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert regiert Alexander Lukashenko Belarus. Und das mit eiserner Hand. Seine Herrschaft wird oft als die letzte Diktatur Europas benannt. Dabei gelang es Lukashenko, sich bei seiner ersten Wahl 1994 als Reformer zu präsentieren. Das obwohl er eine ganz typische Sowjetkarriere hinter sich hatte. 1991 war er der einzige Abgeordnete des (sowjetischen) Parlaments in Minsk, der gegen eine Auflösung der Sowjetunion stimmte. Später initiierte er eine Union mit Russland, und sah sich auch schon als Präsident dieser Union. Bis in Moskau Vladimir Putin an die Macht kam, und Lukashenko einsehen musste, dass nicht er der Chef einer solchen Union sein würde, sondern Putin. Das führte dazu, dass er versuchte, seinem Regime eine Westorientierung zu geben, um so Moskau auf Distanz zu halten. Eine Strategie, die einige Erfolge zeigte, aber spätestens mit der Präsidentenwahl im August 2020 von ihm selbst beendet wurde.

Hatte Lukashenko bei früheren Wahlen noch leichtes Spiel, weil seine Gegenkandidaten entweder zu schwach waren oder er sie rechtzeitig neutralisieren oder kompromittieren konnte, war diesmal klar, dass er die Wahl nicht gewinnen konnte. Obwohl er seine Gegenkandidaten ins Gefängnis warf, stand ihm mit Swetlana Tichanowskaja eine Herausforderin gegenüber, die er unterschätze. Die Ehefrau eines inhaftierten Regimegegners, der nicht als Kandidat zugelassen wurde, kandidierte selbst. Das Regime verkündete einen Sieg Lukashenkos. Seitdem protestieren die Bürger von Belarus gegen die offensichtlichen und massiven Wahlfälschungen. Tichanowskaja musste sich nach Litauen absetzen.

Gemeinsam mit der Paneuropa-Union Ukraine – und unter Mithilfe der Paneuropa-Organisationen Spanien und Schweden – organisierte die Paneuropabewegung Österreich eine Online-Diskussion zur Lage in Belarus. Zmicier Mickiewicz vom Belarus Security Blog formulierte dabei die drei zentralen Forderungen der Demokratiebewegung:

Die Forderungen der Opposition

Neuwahlen ohne Lukashenko, mit internationaler Beobachtung.
Freilassung aller politischen Gefangenen.
Rückkehr zur Verfassung von 1994.

Das Problem der Demokratiebewegung ist laut Mickiewicz, dass es keine erkennbaren Führungspersönlichkeiten gibt. Die bekannten Oppositionsführer sind alle außerhalb des Landes. Eine Rückkehr wäre zwar möglich, allerdings würde die Staatsmacht sie permanent kontrollieren. Swetlana Tichanowskaja machte den Vorschlag ein Komitee zu schaffen, bestehend aus Experten, das nach dem notwendigen Abgang von Lukashenko die Regierungsgeschäfte übernimmt und den Übergang organisiert.

Doch noch denkt das Regime nicht daran aufzugeben. Dabei gehen die Polizeieinheiten mit äußerster Brutalität vor. Leute werden wahllos zusammengeprügelt und ins Gefängnis gesteckt, wo sie zum Teil weiter gefoltert werden. Mickiewicz berichtet von einer Kollegin, die gar nicht auf einer Demonstration war, trotzdem von der Polizei verprügelt und eingesperrt wurde.

Die Bevölkerung lebt Eigenverantwortung

Aber nicht nur Gewalt wird eingesetzt, das Regime versucht auch Chaos zu erzeugen. So fand in der Hauptstadt Minsk eine Demonstration mit zirka 300.00 Teilnehmern statt. Auf den breiten Straßen lief der Verkehr normal weiter. Dann schaltete das Regime die Ampeln ab. Ziel war offenbar, einen Verkehrskollaps zu provozieren. Doch die Menschen wussten sich zu helfen. Sie wählten aus ihrer Mitte Personen aus, die den Verkehr regeln sollten. Es funktionierte. Zmicier Mickiewicz berichtete auch, dass die Stadt nach der Kundgebung sauber war, auch auf den Plätzen, an denen sich Hundertausende Menschen versammelt hatten. Sie haben eben selber den Müll gesammelt. Die Bürger sind in der Lage sich selbst zu organisieren.

Bei der Bevölkerung hat Lukashenko die Unterstützung verloren. Zmicier Mickiewicz berichtet, dass zu der Zeit, als 300.000 allein in Minsk gegen Lukashenko auf die Straßen gingen, das Regime versuchte eine eigene Kundgebung auf die Beine zu stellen. Dazu sollten die Sympathisanten mit Bussen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt gebracht werden. Doch schon auf dem Weg dorthin verschwanden zahlreiche Demonstranten. Sie baten um einen Halt um austreten zu können. So verschwanden sie aus den Bussen.

Dazu kommen Streiks in den großen und systemrelevanten Staatsbetrieben. Das schadet der Wirtschaft. Spätestens im Winter rechnet Mickiewicz mit einer veritablen Wirtschaftskrise, und er fürchtet, Lukashenko könnte aus Belarus das Venezuela Mitteleuropas machen.

Wie reagiert Moskau?

Abgesehen von den internen Entwicklungen in Belarus stellt sich auch die Frage, wie Russland reagieren wird. Eine Unterstützung aus Moskau für Lukashenko sieht Zmicier Mickiewicz nicht. Das wäre auch nicht sinnvoll. Lukashenko ist in seiner Heimat eine Negativfigur. Jede Unterstützung für ihn würde dem Unterstützer Sympathie kosten. Eine militärische Option wie in der Ukraine wäre für Moskau teuer. Mit der Intervention auf der Krim hat Moskau die Ukraine endgültig verloren, so Zmicier Mickiewicz. Und das obwohl die Ukraine und Russland damals viel enger verknüpft waren als Belarus und Russland. Für Moskau wäre jetzt die beste Option die, ganz einfach einmal abzuwarten.

Zuletzt wurde noch die Frage besprochen, was denn nun nach 25 Jahren Geduld mit Lukashenko, die Geduld der Bürger gebrochen habe. Für Zmicier Mickiewicz spielte hier auch das Corona-Virus eine Rolle. Das Regime versuchte die Gefahr herunterzuspielen und zu ignorieren. Mickiewicz berichtet vom Fall seiner Mutter, der es sehr schlecht ging. Erst als sie drohte, ihr Sohn, der Journalist, würde über die Zustände im Krankenhaus schreiben, wurde sie getestet. Damit habe das Regime das ungeschriebene Übereinkommen von 1994 gebrochen: es gibt keine Mitbestimmung, aber es gibt eine Chance auf materiellen Wohlstand. Mit der Reaktion auf die Pandemie habe das Regime klar gezeigt, dass die Bürger völlig egal sind.

Mickiewicz sprach sich für gezielte Sanktionen gegen Vertreter des Regimes aus. Denn die Vertreter des Regimes würden den westlichen Lebensstil, den sie den Bürgern vorenthalten, durchaus schätzen, also auch gerne einen Urlaub in westlichen Ländern absolvieren und die dort gebotenen Annehmlichkeiten genießen. Reiseverbote würden sie hart treffen. Solche Sanktionen sollten neben Lukashenko und seiner Regierung die Wahlbehörden treffen, die an den massiven Manipulationen schuld waren, die OMON-Truppen und auch die Polizei, die für die Prügelorgien verantwortlich war.

Klare Stellungnahme von Paneuropa

Walburga Habsburg Douglas, die Vizepräsidentin der Paneuropa-Union, nutzte die Diskussion, um eine klare Positionierung der Paneuropa-Union zu den Vorgängen in Belarus vorzunehmen: „Schon der Gründer der Paneuropa-Union Richard Coudenhove-Kalergi hat festgehalten, dass die Freiheit die Identität Europas prägt. Diese Freiheit muss immer wieder von neuem erkämpft werden, sie kommt nicht von alleine. Das tun momentan die Bürger von Belarus. Dafür müssen wir ihnen dankbar sein, denn die Freiheit, die von den Bürgern in Belarus erkämpft wird, hat auch Auswirkungen auf unsere Freiheit. Unsere Aufgabe ist es, die Weißrussen in diesem Kampf für Freiheit und Demokratie zu unterstützen, wo immer wir das können. In wenigen Tagen begehen wir den 31. Jahrestag des Paneuropäischen Picknick, das den Anfang vom Ende des Eisernen Vorhanges eingeläutet hat. Mit Lukashenko herrscht in Belarus noch immer in Mann des alten Sowjetapparats, ein „homo sowjeticus“, ein Mann des Eisernen Vorhangs. Die Bürger von Belarus sind gerade dabei den letzten Teil dieses Eisernen Vorhangs zu beseitigen.“