Sicherheit durch Einigkeit

In seiner „Rede zur Zukunft Europas“ spricht sich der Präsident der Paneuropabewegung Österreich Karl von Habsburg für eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine aus, plädiert für einen Regimewechsel in Moskau und Minsk, behandelt die für die westliche Wertegemeinschaft gefährliche Machtpolitik Chinas und fordert eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Lassen Sie mich ganz an den Anfang dieser Rede ein Zitat aus meiner Rede vor genau einem Jahr stellen:

„Das Ziel dieser „Rede zur Zukunft Europas“, die ich jedes Jahr am 11. Jänner halten werde, ist es, europapolitische Fragestellungen einerseits ganz grundsätzlich zu behandeln, andererseits aber auch anhand von aktuellen Herausforderungen zu besprechen. Und, es sollen immer auch konkrete politische Vorstellungen zur Gestaltung der Europapolitik gemacht werden, an deren Umsetzung wir weiterarbeiten müssen.“ Zitat Ende.

Die europäische Einigung ist – Europaministerin Edtstadler hat das in Ihrer Rede angesprochen – eine Erfolgsgeschichte, die aber nur als Erfolgsgeschichte wahrgenommen wird, wenn wir auch Lösungen für die Herausforderungen der Zeit anbieten können.

Die aktuelle Herausforderung ist der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Der sollte aber nicht unsere Sicht auf die geopolitischen Ambitionen Chinas verstellen. Die Beschäftigung mit Moskau und Peking wird einen Schwerpunkt dieser Rede bilden. Europas Schwäche und notwendige Konsequenzen für die europäische Politik bilden den zweiten Pfeiler dieser Rede.

Die Welt und ihre Ordnung, und ganz spezifisch die europäische Ordnung, ist nicht mehr das, was noch vor einem Jahr gegolten hat, und worauf wir alle gesetzt haben. Bereits 2014 hat der russische Präsident Vladimir Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet. Im Handstreich gelang es, die Halbinsel Krim zu nehmen und zu annektieren. Dass es hier Verrat von Generälen auf ukrainischer Seite gegeben hat, macht diesen Überfall nicht besser. In weiterer Folge kam es zum Überfall auf die Ostukraine, der noch sehr geschickt unter dem Niveau einer echten Invasion verlief, und im Abschuss des Fluges MH17 seinen bis dahin blutigsten Höhepunkt fand.

Vor einem Jahr war dieser Angriff nach wie vor jener eingefrorene Konflikt, den der Waffenstillstand von 2014, den auch europäische Länder mitverhandelt hatten, brachte. Russland hatte aber bereits seine Armee an den Grenzen der Ukraine positioniert, und auch Belarus mit dem Terrorregime des Alexander Lukashenko als Aufmarschgebiet für einen Angriff in Anspruch genommen. Es kam im Jänner 2022 zu einem hochrangigen Treffen zwischen den USA und Russland, in dem es um die Lage in der Ukraine ging. Europa, die EU, war an diesem Treffen nicht beteiligt. Von Analysten wurde die Ukraine damals als Pufferstaat bezeichnet. Also als ein Puffer zwischen Europa und Russland. Eine Wortwahl, die an den Begriff „Zwischeneuropa“ aus der Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg erinnert.

Russland versicherte damals, dass es keinesfalls einen Krieg plane. Sie erinnern sich an die Bilder von dem großen, langen Tisch, wo auf der einen Seite Vladimir Putin saß, und auf der anderen Seite sein jeweiliger europäischer Gesprächspartner, dem Putin versicherte, dass es zu keinem Krieg kommen werde.

Die europäischen Gesprächspartner wollten diese Versicherung auch glauben. Europa setzte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs beim Paneuropäischen Picknick vom 19. August 1989, nach der Auflösung des Warschauer Paktes und nach dem Ende der Sowjetunion, beides im Jahr 1991, auf das Ende von Kriegen in Europa. Es brach die Illusion vom ewigen Frieden aus. Militärische Kapazitäten, und damit aber auch viele Kapazitäten für Katastrophenfälle, wurden radikal zusammengestrichen. Die Friedensdividende wurde kassiert, das Geld in wohlfahrtsstaatliche Umverteilungsprogramme gesteckt. Man könnte auch von Wählerkauf sprechen.

Gleichzeitig sollten internationale Verträge dafür sorgen, dass eine neue Ära des Friedens den Wohlstand für ewig sichert. Noch die UdSSR unterschrieb die KSZE-Schlussakte, in der bereits die Bündnisfreiheit von souveränen Staaten festgeschrieben wurde. Ende 1990 folgte die „Charta von Paris für ein neues Europa“, in dem diese Bündnisfreiheit – und das war bereits nach der Auflösung des Warschauer Paktes – nochmals verankert wurde. Das Verhältnis zwischen Moskau und Kyiv wurde durch das Budapester Memorandum vom Dezember 1994 geregelt. Ein Vertrag, der aber über das Bilaterale hinaus auch massive Bedeutung für die Eindämmung der nuklearen Gefahr hatte. Denn für die Garantie seiner Grenzen durch die Garantiemächte, also die Nuklearmächte Russland, USA und Großbritannien, verzichtete die Atommacht Ukraine auf ihre nukleare Bewaffnung.

All diese Verträge und noch einige weitere sollten Krieg in Europa unmöglich machen. Doch die Realität hält sich nicht immer an Verträge. Und praktisch mit der Überwindung des Eisernen Vorhanges kam der erste Weckruf, die Verteidigungsfähigkeit Europas nicht einer ewigen Friedensillusion – ich bitte hier, nicht Hoffnung mit Illusion zu verwechseln – zu opfern. Im ehemaligen Jugoslawien begann der serbische Diktator Slobodan Milosevic seine Kriege für ein Groß-Serbien, die über fast zehn Jahre unermessliches Leid über die Region brachten. Die blutrünstigen Gesänge der Tschetniks in Vukovar müssen genauso in unserer Erinnerung bleiben wie das Massaker von Srebrenica oder der Versuch der Auslöschung der Kosovaren. Beendet wurde dieses Morden letztlich durch gezielte Militärschläge der Nato, unter Federführung der USA.

In Europa hingegen hatten weiterhin jene Sicherheitsexperten Hochkonjunktur, die sich für einen Abbau der – natürlich kostenintensiven – militärischen Kapazitäten stark machten, weil man doch für größere Konflikte eine Vorwarnzeit von etwa zehn Jahren hätte. Die Grünen Männchen auf der Krim haben sich nicht an diese Vorwarnzeit gehalten, und hatten die Halbinsel bereits unter ihre Kontrolle gebracht, bevor diese Experten noch darüber nachdenken konnten, wie man auf die neuen Herausforderungen für die europäische Sicherheit hätte reagieren können.

Und selbst 2014, also nach dem Überfall Russlands auf Georgien 2008 und dann eben die Ukraine 2014, wollte man in Europa noch immer keine Schlüsse aus dieser Lage ziehen. Putin wurde hierzulande weiter hofiert. Anstatt neue Konzepte zu entwickeln, wie man mit einer Bedrohung aus Moskau umgehen könnte, wurde die Abhängigkeit vom russischen Gas erhöht. Konzepte einer Diversifizierung der Lieferanten wurden politisch von höchster Stelle gekippt. Österreich und Deutschland waren hier besonders anfällig für die Verlockungen des billigen Gases aus Russland. So konnte man sich auch einreden, dass der Umstieg auf sogenannte alternative Energiequellen ganz problemlos verlaufen würde. Ehemalige Regierungsvertreter aus vielen europäischen Ländern hatten kein Problem damit, auf der Gehaltsliste von russischen Firmen zu stehen und für russische Interessen Lobbying zu machen.

Sie verzeihen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich da jetzt einen längeren Rückblick gemacht habe, noch dazu über eine Entwicklung, die 1989 mit einer Sternstunde der Menschheit begann, die uns aber aktuell in eine extrem gefährliche weltpolitische Lage gebracht hat. Dabei habe ich den Fokus bisher nur auf Europa gelegt, und gar nicht die brutalen Kriege in Afrika angeschnitten, oder die vielen anderen Gefahrenherde auf der Welt, oder die brutale Unterdrückung der Freiheitsbewegung durch das Regime im Iran. Es würde auch den Rahmen dieser Rede sprengen, auf all diese Herausforderungen einzugehen.

Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Wir können nur aus der gegebenen Lage, und den Ereignissen, die dazu geführt haben, die richtigen Schlüsse ziehen, um so für künftige Herausforderungen gewappnet zu sein.

So wie es in jeder Gesellschaft zu jeder Zeit Verbrecher gibt, so gibt es diese Verbrecher auch zu jeder Zeit in der Gesellschaft der Staaten. Der alte Spruch, „si vis pacem para bellum“, also „sei für den Krieg gerüstet, wenn Du Frieden willst“, gilt leider noch immer, und er wird weiter gelten. Nichts ist gefährlicher als reich und schwach zu sein, und genau in der Situation ist Europa nach wie vor. Wobei das mit dem Reichtum auch im Schwinden ist. Der umverteilende Wohlfahrtsstaat schafft nun einmal keinen Reichtum, er verteilt ihn nur um. Wohlstand wird durch Innovation und Investitionen geschaffen. Beide brauchen aber entsprechende Rahmenbedingungen. Vergisst man diesen Grundsatz und gibt sich den Verlockungen der Bürokratie hin, so werden die innovativen Kräfte abwandern und die Investitionen sich Regionen mit besseren Bedingungen suchen.

Aber bleiben wir noch bei der geopolitischen Lage, die heute auch nicht mehr so ist, wie sie vor 30 Jahren beim Zusammenbruch des Ostblocks war. Damals standen einander das westliche System der USA und des freien Europa auf der einen, und das von der Sowjetunion als zweiter Supermacht gelenkte Ostblocksystem gegenüber. Der Westen konnte den Kalten Krieg eindeutig für sich entscheiden. Das Angebot von Freiheit, Demokratie und freier Wirtschaft war so verlockend, dass praktisch alle Länder der früher sozialistischen Welt in Europa den Beitritt in Nato und EU anstrebten. Dieses Angebot ist nach wie vor so attraktiv, dass die Länder Südosteuropas, aber auch die Ukraine und Georgien genau diesen Bündnissen beitreten wollen.

Russland hat zwar seinen Status als Supermacht verloren, war militärisch aber immer noch stark genug, um in verschiedenen Kriegen mitzumischen, oder gar entscheidend einzugreifen. Das war und ist so im spannungsgeladenen Verhältnis zwischen Armenien und Aserbeidschan, das hat sich aber auch im Nahen Osten, im Syrien-Krieg gezeigt. Putin hat sich damals mit seiner Militärintervention zugunsten von Assad auf die Bühne der Weltpolitik zurückgebombt. Ohne ihn gab es keine Chance auf eine Friedenslösung in der Region. Er hätte diese Position genießen können, und wäre heute wohl gern gesehener Gesprächspartner sowohl der USA als auch der Europäer und anderer Länder dieser Welt. Und er hätte weiterhin viel Geld mit dem Verkauf von Gas und anderen Rohstoffen verdienen können. Geld, das Russland so dringend benötigt, um auch abseits der großen Städte zivilisatorische Verhältnisse zu schaffen.

Sein Traum, ein neues russisches Imperium zu begründen – eine Art Mischung aus Sowjetreich und altem zaristischen Reich –, hat ihn nun in eine Lage gebracht, aus der heraus er in den Geschichtsbüchern wohl als einer der großen Kriegsverbrecher in Erinnerung bleiben wird.

Viele wollten ja glauben, dass Putin erstens rational und zweitens gut informiert handelt. Beide Annahmen haben sich als falsch erwiesen. Wenn er tatsächlich geglaubt hat, er könnte Kyiv im Handstreich nehmen, dort den Präsidenten eliminieren, ein Marionettenregime etablieren und dann die Ukraine kontrollieren, dann ist er Fehlinformationen über die tatsächliche Lage in seinem Nachbarland aufgesessen, war also nicht gut informiert. Und würde er rational handeln, dann hätte er weiterhin auf gute Handelsbeziehungen mit Europa und dem Rest der Welt gesetzt. Erstens hätte er damit wesentlich mehr Geld verdienen können als das mit dem Krieg möglich ist, zweitens hätte er weltpolitisch deutlich mehr Einfluss nehmen können.

Der russische Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hat das Potenzial, noch weit in dieses Jahr hinein oder länger zu dauern. Wir müssen in unsere Szenarien auch eine neuerliche Invasion über Belarus Richtung Kyiv einkalkulieren, und damit auch neue Flüchtlingsströme in die Länder der EU. Aber egal wie lange der Krieg dauert, Russland wird danach seinen Status als Weltmacht eingebüßt haben. China, der alte Rivale Russlands in Asien, wird davon profitieren. Russland gilt für die chinesische Führung schon jetzt nur mehr als Juniorpartner. China hat Russland längst überholt, und ist heutzutage genauso eine der großen Bedrohungen für jenes System von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freier Wirtschaft, für das der Westen allgemein steht.

Wir müssen uns aber im Klaren darüber sein, dass dieser russische Krieg gegen die Ukraine nicht nur ein Angriff auf die Ukraine ist. Es ist ein Angriff auf Europa, auf unser Lebensmodell, auf Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft. Es ist ein Krieg, den die östliche Despotie gegen die westliche Demokratie losgetreten hat. Putin verachtet das europäische Lebensmodell. Bei aller Kritik, die auch wir gelegentlich an der europäischen Politik üben: kein Europäer kann ein Interesse daran haben, sich der Despotie Putins zu unterwerfen. Das wollen ja nicht einmal die reichen Russen, die ihre Kinder auf Schulen und an Universitäten im Westen schicken.

Und weil wir kein Interesse daran haben können, uns der Despotie des Kriegsverbrechers Vladimir Putin zu unterwerfen, muss uns auch klar sein, dass dieser Krieg nur mit einem Sieg der Ukraine und einer Niederlage Russlands enden darf. Es geht hier nicht darum, wie es gelegentlich auch aus hohen politischen Kreisen in Westeuropa heißt, dass man russische Sicherheitsinteressen berücksichtigen müsse und man Putin einen gesichtswahrenden Ausstieg aus dem Krieg bieten müsse. Niemand hat die Sicherheitsinteressen Russlands verletzt. Es gab keine Stationierung von Atomwaffen in der russischen Nachbarschaft, so wie bei der Kuba-Krise an der Grenze zu den USA. Niemand hat Russland angegriffen. Mit den bisher begangenen Kriegsverbrechen hat Putin jedes Recht verloren, sein Gesicht zu wahren. Er gehört vor ein Kriegsverbrechertribunal, samt seinen Mittätern, und es muss einen Regimewechsel in Moskau geben.

In Minsk übrigens auch.

Selbstverständlich wird Russland Reparationen zahlen müssen. Daher sollte der Westen auch sofort die zirka 300 Milliarden Dollar Währungsreserven konfiszieren, die von der Russischen Zentralbank in sieben westlichen Zentralbanken gehalten werden. Das Geld wird für den Wiederaufbau der Ukraine notwendig sein. Es wäre geradezu fahrlässig, dies nicht zu tun. Genauso müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, um all die eingefrorenen Vermögen russischer Oligarchen des Systems Putin für Reparationen verwenden zu können.

Ich halte auch nichts von jenen historischen Vergleichen, wonach man Russland nicht demütigen dürfe, so wie man Deutschland im Vertrag von Versailles nicht hätte demütigen dürfen, dass die Reparationszahlungen zu hoch gewesen wären und dadurch Hitler und damit der Zweite Weltkrieg gekommen ist.

Richtig ist, dass der Zweite Weltkrieg eine Folge westlicher Schwäche gegenüber Hitler war. Es gab praktisch keine Konsequenzen auf die Besetzung des Rheinlandes durch Deutschland. Und die Reaktion auf die Besetzung des Sudetenlandes war nicht die notwendige militärische Reaktion der Alliierten, sondern eine Konferenz, in der Hitlers bisherige Eroberungen – dazu gehörte auch Österreich – akzeptiert wurden.

An die Folgen sollten all jene denken, die damit spekulieren, man könne doch Putin und sein Regime damit zufrieden stellen, dass man ihm die Krim, die Ostukraine und die Südukraine überlässt. Wenn wir aus der Geschichte lernen wollen, dann können wir nur die Schlussfolgerung ziehen, dass wir die Ukraine so massiv unterstützen müssen – und da meine ich vor allem mit militärischem Gerät und Informationen –, dass sie Russland in die im Budapester Memorandum garantierten Grenzen zurückdrängen kann.

Natürlich kann das zu einer Destabilisierung Russlands führen. Aber bedenken wir: Russland ist ein Kolonialreich. Kolonialreiche zerfallen. Das gilt auch für Russland. Es ist immer die Frage, wie lange sich die kolonialisierten Völker die Herrschaft gefallen lassen. Derzeit dienen die Minderheitenvölker im russischen Kolonialreich vor allem als Kanonenfutter für die russische Armee. Das ist auf Dauer keine zufriedenstellende Lage für diese Völker. Wir müssen mit Szenarien rechnen, die ein – wahrscheinlich sehr unruhiges – Ende des russischen Reiches bedeuten.

Japan und Deutschland haben am Ende des Zweiten Weltkrieges bedingungslos kapituliert. Beide Länder haben nach dieser Kapitulation einen Weg eingeschlagen, der ihnen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und einen wirtschaftlichen Aufschwung brachte. Wir sollten also keine Angst vor einer militärischen Niederlage Russlands haben, sondern diese als Chance begreifen, dass es auch in diesem Land zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freier Wirtschaft kommt.

Exzellenzen, meine Damen und Herren!

Kommen wir noch einmal zurück zu jener Macht, die wir bei all den geopolitischen Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren dürfen: China.

China denkt langfristig. Im Jahr 2049 wird das Land 100 Jahre Gründung der Volksrepublik China begehen. Das ist ein Datum, das wir in der Beschäftigung mit der chinesischen Politik im Auge behalten müssen. Denn klares Ziel Pekings ist es, bis dahin Taiwan vollständig in China integriert zu haben. Das sagt uns auch etwas über den möglichen Zeithorizont, falls China dieses Ziel militärisch erreichen möchte. Denn vollständige Integration bedeutet, dass bis dahin sowohl der Krieg als auch der Wiederaufbau vorbei und erledigt sein müssen.

China rüstet militärisch massiv auf. Am besten kann man das an der Marine und hier am Vergleich mit den USA sehen. Die USA haben sieben Militärwerften, die Volksrepublik China hat 19 militärische Großwerften. Allein die Großwerft Jiangnan Dao am Jangtse Fluss hat eine größere Kapazität als alle sieben US-Werften zusammen. China hat mittlerweile die größte Marine der Welt. Für China ist das südchinesische Meer das, was für die USA die Karibik ist.

Bereits 2013 lancierte Präsident Xi Jinping das Projekt „Neue Seidenstraße“, ein großangelegtes wirtschafts- und außenpolitisches Prestigeobjekt. Klares Ziel dieser Seidenstraße-Strategie ist es, einen von China dominierten Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem eurasische und afrikanische Staaten auf dem Land- und Seeweg eng verbunden werden. Zahlreiche Länder der Welt haben sich bereits an diesem Jahrhundertprojekt beteiligt. Darüber hinaus hat Peking weitere wirtschaftliche und finanzielle Institutionen gegründet, die als wichtige Instrumente für die kommunistische Führung zu geopolitischen Zwecken dienen.

Gleichzeitig fährt das totalitär-kommunistische Regime in Peking eine Strategie, das unser bekanntes System von bürgerlichen und politischen Freiheiten, das System von Menschenrechten, herausfordert. China versucht hier mit seiner eigenen Ideologie eine neue internationale Ordnung zu schaffen. Wie weit hier der Einfluss Chinas bereits geht, hat sich gezeigt, als einzelne EU-Länder eine klare Haltung der EU gegenüber China blockiert haben.

Meine Damen und Herren.

Was Schiffe, die im südchinesischen Meer feststecken für die europäische Wirtschaft bedeuten, muss ich nach zwei Corona-Jahren und all den Verwerfungen heute niemanden erklären. Und da rede ich gar noch nicht von der sicherheitspolitischen Lage und den sonstigen geopolitischen Folgen.

Oder anders formuliert: Wieviele Weckrufe braucht es in Europa noch, um zu begreifen, dass wir mit einer Politik wie bisher nur den Weg in die Bedeutungslosigkeit gehen. Ein Disneyland für chinesische Touristen ist garantiert keine Zukunftsperspektive für Europa. Zumal ein chinesisches Disneyland nichts mit Vergnügen zu tun hat, sondern mit einer Totalkontrolle unseres Lebens, wie es das social credit System in China bereits bedeutet.

Wir werden Sicherheit für Europa nur durch Einigkeit schaffen. Ich halte von einem zentralistischen Europa genauso wenig, wie von nostalgischer Kleinstaaterei, in der nicht einmal mehr die großen europäischen Länder eine wirkliche Außen- und Sicherheitspolitik machen können. Der Krieg gegen die Ukraine und ein freies Europa ist dafür ein gutes Beispiel. Viele beklagen ja, dass die USA hier so präsent sind und so massiv unterstützen, dabei aber eigene Interessen verfolgen. Würden die USA hier nicht so massiv unterstützend tätig sein, dann bin ich mir nicht sicher, ob wir uns noch darüber beklagen könnten.

Es ist an der Zeit, dass die Europäische Union eine tatsächlich europäische Außen- und Sicherheitspolitik beginnt. Sie werden dieses Plädoyer schon einige Male von mir gehört haben, und ich bin sicher, ich werde es noch einige Male wiederholen müssen.

Europäische Außenpolitik bedeutet nicht nur Koordinierung der Außenpolitik von 27 Mitgliedsländern durch den Hohen Vertreter für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sondern ein EU-Außenministerium mit einem Außenminister (oder einer Außenministerin) an der Spitze.

Dazu brauchen wir einen Kern einer europäischen Verfassung, in der genau diese außenpolitische Kompetenz für die Europäische Union festgeschrieben wird. Ein Punkt übrigens, der auch allen Anforderungen der Subsidiarität entsprechen würde. So wie jetzt jeder Außenminister der parlamentarischen Kontrolle seines Landes unterliegt, würde ein EU-Außenminister der parlamentarischen Kontrolle des direkt von den Bürgern der EU gewählten Europäischen Parlamentes unterliegen.

Hier geht es genau um jene Frage der Souveränität, von der viele nationale Egoisten so gerne sprechen. Denn Souveränität, meine Damen und Herren, bedeutet im konkreten Fall die Fähigkeit zu handeln und zu gestalten. Eine europäische Außenpolitik würde vom Potenzial einen eindeutigen Mehrwert gegenüber einer reinen Nationalstaatspolitik bringen.

Natürlich gehört zu dieser europäischen Außen- und Sicherheitspolitik ein europäischer Schutz der Außengrenzen. Selbstverständlich gehören Rumänien und Bulgarien genauso in den Schengen-Raum wie Kroatien. Diese Reisefreiheit innerhalb der EU ist wohl einer der ganz großen Errungenschaften der europäischen Einigung. Das hat auch nichts mit dem Asylthema oder der illegalen Migration zu tun.

Aber dazu gehört nun einmal ein europäischer Außengrenzschutz. Der war ja bei der Schaffung des Schengen-Raumes auch angedacht. Das Europäische Parlament hat dazu sehr klare Positionierungen vorgenommen.

Aber so wie in der Außenpolitik wollten die Mitgliedsländer den Grenzschutz weiter als nationale Angelegenheit behalten. Dass hier vor allem jene Länder am lautesten nach einem europäischen Grenzschutz rufen, die gleichzeitig den Grenzschutz als nationale Kompetenz sehen, ist leider auch eine Tatsache.

Wie erratisch die Politik vieler Mitgliedsländer hier ist, zeigt sich am Beispiel der Visaliberalisierung für die Bürger des Kosovo. Kein Land musste so viele Auflagen für die Visaliberalisierung erfüllen wie der Kosovo. Das Land hat die Auflagen erfüllt, und seit Jahren gibt es immer wieder egoistische Blockaden einzelner Länder dagegen.

Wer mich kennt, weiß, dass ich grundsätzlich ein Optimist bin. Also gehe ich einmal davon aus, dass die jetzt unter tschechischer Ratspräsidentschaft getroffene Vereinbarung auch hält, und die Kosovaren ab 2024 tatsächlich ohne Visum in die EU reisen können. Auch in jene Länder, die dieses europäische Land noch immer nicht anerkannt haben. So wagemutig, dass ich dafür die Hand ins Feuer lege, bin ich aber nicht.

Dass der Balkan, Südosteuropa, eine Region ist, in der es eine klare, strategische ausgerichtete, Politik der EU braucht, haben die jüngsten Spannungen im Norden des Kosovo wieder einmal gezeigt. Es ist nicht das erste Mal, dass der serbische Präsident Alexander Vucic hier gezündelt hat. Das tut Serbien übrigens auch in Montenegro und in Bosnien-Herzegowina. Über die Erweiterungspolitik hat die EU Instrumente, um den notwendigen Druck auf Serbien aufzubauen. Die EU muss nur geeint auftreten und bereit sein, diese Instrumente gezielt einzusetzen.

Exzellenzen, meine Damen und Herren!

Am Anfang meiner Rede habe ich eine kurze Anmerkung zum schwindenden Reichtum Europas und zur Abhängigkeit von Lieferketten gemacht. Sie haben die Debatten über Versorgungsengpässe und in Österreich jüngst auch über Probleme bei der Versorgung mit einigen Medikamenten verfolgt. Vielfach wird jetzt der Ruf laut, da müsse die Politik einschreiten und für mehr Resilienz sorgen. Das klingt nicht nur logisch, sondern ist auch notwendig.

So wie jeder vernünftige Mensch Kerzen zu Hause hat – und etwas zum anzünden –, weil es zu einem Stromausfall kommen kann, so muss es auch eine gewisse Bevorratung geben, um eine Krisenzeit, einen Katastrophenfall handhaben zu können. Österreich kennt das Konzept der umfassenden Landesverteidigung, zu der auch eine wirtschaftliche Landesverteidigung gehört. In früheren Zeiten, bevor man begann die schon angesprochene Friedensdividende zu kassieren, war es vielfach eine Aufgabe des Militärs, Vorräte zu halten, um eine gewisse Infrastruktur aufrecht erhalten zu können.

Und weil ich jetzt das Stichwort Militär genannt habe: Europäische Sicherheitspolitik bedeutet auch, dass wir unsere militärischen Fähigkeiten wieder auf ein Niveau bringen, auf dem wir uns verteidigen können. So schön auch ich die Auftritte der Militärmusik bei gewissen Anlässen finde, zur Verteidigungsfähigkeit braucht es eine entsprechende Ausstattung mit Gerät, dazu braucht es auch eine europäische Rüstungsindustrie die lieferfähig ist. Und dazu braucht es Verteidigungsbudgets, die mehr als nur Augenauswischerei sind, sowie eine viel intensivere europäische Zusammenarbeit.

Entscheidend bei all den Herausforderungen, vor denen wir in Europa stehen, wird sein, dass wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Verstärkt hören wir aus fast allen politischen Richtungen Rufe nach neuen Staatseingriffen, nach einem Ende der Globalisierung, nach neuen Lenkungsmaßnahmen.

Meine Damen und Herren,

das ist der falsche Weg. Das ist auch nicht das Erfolgsrezept, das Europa einst groß gemacht hat. Der Staat hat die Aufgabe Recht und Freiheit zu sichern, dazu gehört natürlich die Außen- und Sicherheitspolitik, das ist nun einmal eine klassische Staatsaufgabe. Es ist aber nicht die Aufgabe des Staates, die Wirtschaft zu lenken. Diese Konzepte sind bisher immer gescheitert, und sie werden auch in Zukunft scheitern.

Arbeitsteilung ist gut. Auch Arbeitsteilung auf globaler Ebene ist gut, sie führt dazu, dass unser aller Wohlstand steigt. Trotzdem braucht es eine Sicherheitspolitik, die entweder in der Lage ist, Krisen und Kriege zu verhindern, oder zumindest im Krisenfall Versorgungssicherheit zu garantieren.

Die notwendige Reindustrialisierung Europas wird nicht durch staatliche Eingriffe gelingen. Die Rückholung von Produktionen – ich habe vorhin schon den Bereich der Medikamente angesprochen – wird nicht durch staatliche Verordnung möglich sein. Wir brauchen in Europa eine Rückkehr zu den vernünftigen Grundsätzen einer Ordnungspolitik, wie sie uns noch aus der Wirtschaftswunderpolitik eines Ludwig Erhard in Erinnerung ist. Unternehmen produzieren dort, wo sie gute Rahmenbedingungen vorfinden. Wenn wir Unternehmen in immer mehr Bürokratie ersticken, wenn wir nicht in der Lage sind Lohnnebenkosten zu senken, wenn es heute in vielen Bereichen einen Arbeitskräftemangel bei gleichzeitig großer Arbeitslosigkeit gibt, dann wissen wir, dass hier die Rahmenbedingungen nicht stimmen.

Es ist kein Zufall, dass hochqualifizierte Kräfte aus Europa abwandern. Es ist kein Zufall, dass das Silicon Valley – da meine ich jetzt nicht den geografischen Begriff, sondern die übertragene Bedeutung für Hochtechnologie, Innovation, etc. – in den USA und nicht in Europa liegt. Auch dieser Weckruf wurde in Europa nicht gehört.

Ich weiß schon, es ist für einen Politiker oder eine Politikerin bequemer, in einem Wahlkampf neue Segnungen des Wohlfahrtsstaates zu versprechen, als eigene Anstrengungen zu verlangen. Es ist auch für viele Menschen offenbar verlockend, darauf zu warten, dass der Staat schon alles für sie regeln werde. Als Realisten wissen wir aber, dass das eine Illusion ist. Das Schlaraffenland gibt es nur im Kinderbuch.

Exzellenzen, meine Damen und Herren,

auch ich wurde in den vergangenen Wochen mehrfach auf den Korruptionsskandal angesprochen, der die europäischen Institutionen erschüttert. Macht korrumpiert und absolute Macht korrumpiert absolut, um es mit den Worten des englischen Philosophen Lord Acton zu sagen. Übrigens ist dieser Grundsatz ein wunderbares Beispiel dafür, dass der Staat nicht zu viel Macht bekommen darf, schon gar nicht in Bereichen, die nicht Staatsaufgabe sind. Je aufgeblähter der Staat, umso korrupter wird er.

Solche Affären sind allerdings auch ein Aufruf, wieder an die Charakterbildung von Politikern zu denken. Politiker haben sicher einen anstrengenden Job, sie werden dafür normalerweise auch gut bezahlt – eben um sie nicht anfällig für Bestechungsgeschenke zu machen. Dass es schwache und gewissenlose Menschen gibt, ist leider eine Realität des menschlichen Lebens.

In gesunden Demokratien aber fliegen solche Korruptionsfälle auf und werden die Korruptionisten zur Verantwortung gezogen. Jeder aufgedeckte Fall ist eine Erinnerung, dass wir an der politischen Kultur ständig arbeiten müssen.

Wogegen wir aber entschieden antreten müssen, sind jene Populisten, die den Korruptionsskandal zum Anlass nehmen, das Europäische Parlament als solches beziehungsweise die europäischen Institutionen im Allgemeinen in Frage zu stellen. Zu glauben, dass im Nationalstaat alles besser geregelt werden kann, und dass es da keine Korruption gäbe, geht wohl für jeden klar erkennbar an der Realität vorbei. Mir ist keine Forderung bekannt, die Gemeinden abzuschaffen, nur weil auch schon Bürgermeister in Korruptionsaffären verwickelt waren oder wegen Amtsmissbrauch zurücktreten mussten.

Dass wir aufgrund der geopolitischen Lage ein starkes Europa zum Schutz unserer Freiheit brauchen, habe ich hoffentlich mit den vielen genannten Herausforderungen, die es zu bewältigen gibt, dargestellt. Das muss Populisten nicht interessieren, denn ihr Ziel ist die Zwietracht, nicht die Problemlösung.

Europaministerin Edtstadler hat in ihrer Einleitungsrede von einer Politik der Zeitenwende gesprochen. Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, von denen ich einige skizziert habe, zeigen, dass wir keine Zeit verlieren dürfen, uns diesen Herausforderungen mit Realitätssinn zu stellen.

Europa, die westliche Welt, hat mit Freiheit, Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit die richtigen Instrumente in der Hand, um den Kampf gegen die Herausforderungen der Zeit aufzunehmen. Wir müssen diese Instrumente nur richtig einsetzen. Und wir müssen bereit sein, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden.

Wir leben in spannenden Zeiten. Ein gemeinsames Europa ist unsere Sicherheit und unsere Zukunft! Und die müssen wir gemeinsam gestalten!

c Beitragsbild: Matthias Dolenc