Ein Europa das schützt? Natürlich!

Warum das Motto des österreichischen Ratsvorsitzes sehr wohl seine Berechtigung hat, aber weiter gefasst ist, als nur das Migrationsthema. Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropabewegung Österreich.

Die Aufregung diverser Kommentatoren, Altbundespräsident Heinz Fischer ist als prominentester zu nennen, war groß, als verlautbart wurde, dass der EU-Ratsvorsitz Österreichs unter dem Motto „Ein Europa das schützt“ stehe. Von „Abschottung“ war die Rede, und von „negativen Bildern die erzeugt werden sollen“. Man kann natürlich dieses Motto eng sehen und auf das Thema reduzieren, auf dem gerade der gesamte mediale und politische Fokus liegt: Migration und Außengrenzschutz. Das wäre aber fahrlässig.

Sicherheit – die Uraufgabe von Staaten

Die ureigene Aufgabe des Staates, und da sind sich Konservative, Liberale und Linke prinzipiell einig, ist es, die innere und äußere Sicherheit zu gewähren. Das wird in der Ausführung sicherlich je nach ideologischem Standpunkt unterschiedlich aussehen. Dass der Staat aber sehr wohl Schutzfunktion hat, wird kaum jemand bestreiten. Das kann man auf Polizei im Inneren und Verteidigung im Äußeren reduzieren, oder ausweiten auf Schutz des Rechtsstaates, des Wettbewerbs bis hin zum sozialen Netz. Würde der Staat nicht schützen, man bräuchte ihn ja nicht.

Auch die Europäische Union hat selbstverständlich Schutzaufgaben, die ihr entweder von den Staaten übertragen wurden oder die man auf europäischer Ebene gemeinsam regelt. Was bei der gemeinsamen Außen– und Sicherheitspolitik mehr als vernünftig und effizient ist. Und hier sind wir am Punkt: Selbstverständlich muss Europa schützen. Und zwar in einem viel weiteren Umfang, als es in der – hierzulande ohnehin schon sehr spärlich ausgeprägten – Debatte um Sicherheitspolitik und Geostrategie vorkommt.

Ein Blick auf die Karte zeigt – Krisenherde gibt es genug

Man braucht nur eine Europakarte vor sich ausbreiten und im Uhrzeigersinn durchgehen. Im Norden wird Großbritannien demnächst die Europäische Union verlassen. Das führt nicht nur zum Wegfall des Landes, das einen großen Anteil an der militärischen Verteidigungskraft stellte, es führt auch zu einer neuen Grenze auf der irischen Insel. Diese war bis vor gar nicht allzu langer Zeit Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges.

Die nordischen Länder sind die Außengrenze zur Arktis, einem geostrategisch höchst bedeutsamen Punkt. Im Nordosten findet sich nicht nur die Außengrenze zu Russland, sondern auch die Enklave Kaliningrad – in der sind die atomwaffenfähigen Raketensysteme „Iskander“ stationiert. Reichweite über Berlin hinaus.

Im Osten Europas, der Ukraine, findet ein Krieg statt, der bisher 11.000 Menschen das Leben und über zwei Millionen Menschen die Heimat kostete. Das Land liegt gleich hinter der Slowakei, näher an Wien als Vorarlberg. Das Asowsche Meer, wichtiges Gewässer der Handelsschifffahrt für Russland und die Ukraine, wird aktuell Schritt für Schritt abgeschottet und mit Marineeinheiten bewacht.

Im Südosten liegt die Republik Moldau. Geographisch zwischen Rumänien und der Ukraine gelegen und damit weit weg von Russland, ist es zerrissen zwischen alten kommunistischen Kadern und einer pro-europäischen Zivilgesellschaft in den Städten. In der abtrünnigen Region Transnistrien, zwischen Ukraine und Moldau gelegen, sind russische Truppen stationiert.

Der Balkan ist in Europa das Experimentierfeld außereuropäischer Kräfte, deren oberstes Ziel die Destabilisierung ist. Allen sechs noch verbliebenen Balkanstaaten wird der EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Das ist auch dringend notwendig. In instabilen Regionen tummeln sich Saudi-Arabien, Russland, China und die Türkei.

Das Mittelmeer trennt Europa von teils stabileren Ländern wie Marokko, instabilen (de facto failed states) wie Libyen und strengen Autokratien wie Ägypten.

China – der Drache erwacht und ist hungrig

Und das war nur ein kleiner Auszug von geostrategisch und sicherheitspolitisch wichtigen Regionen direkt in Europa. Dazu erwähnt werden muss China und seine aggressive Expansionsstrategie, die sich nicht nur in der „Neuen Seidenstraße“ – One Belt One Road Initiative – zeigt (der Verkauf von wichtiger Infrastruktur wie der Hafen von Piräus an China wird Europa noch beschäftigen), sondern auch im Handelsbereich, wo ausschließlich die EU geeint stark genug auftreten kann, um Chinas Diskriminierung von ausländischen Firmen zu beenden. Dass China via 16 + 1 Format speziell einige europäische Länder ausgesucht hat, um mit diesen bilateral Abkommen zu schließen, ist auf den strategischen Weitblick der chinesischen Führung zurückzuführen. Die Ausweitung des „Social Credit“-Systems auf internationale Firmen bedeutet de facto auch beinharte Geopolitik: Wer Taiwan anerkennt, darf nicht in China handeln.

Die USA – schwankend zwischen demokratischem Rechtsstaat und schnellen „Deals“

Und dann noch die USA und ihr Präsident Donald Trump. Diesem ist die volle Aufmerksamkeit gewiss – was wiederum zur völligen Vernachlässigung vieler oben aufgeführter Punkte führt. Seine offen ausgesprochene Ablehnung jeglicher internationaler Abkommen und Institutionen sind ein Warnsignal an Europa. Seine Sturheit und sein Denken in „Deals“ werden der Welt in Form von Handelskriegen noch schaden. Noch nie konnten diese gewonnen werden.

Europa muss seine Sicherheit selbst übernehmen können

In einem Punkt hat der US-Präsident aber recht: Dass die USA jahrzehntelang Europas Sicherheit und militärische Verteidigung garantieren mussten, ist nicht ewig lang aufrecht zu erhalten. Es hemmt Europas Entwicklung in diesem Bereich. Zu lange haben sich die EU-Staaten, auch Österreich, auf die Nato und auf starke Partner wie USA, Großbritannien oder Frankreich verlassen. In Wahrheit erfüllen fast alle Nato-Mitglieder nicht das – eigens beschlossene! – zwei Prozent-Ziel. Sofort wird jede Investition in die europäischen Heere als „Aufrüstung“ gebrandmarkt. Was dazu führt, dass die deutsche Bundeswehr nur knapp zehn einsatztaugliche Kampfflugzeuge hat. Pesco – die strukturierte Zusammenarbeit mehrerer EU-Staaten im Rahmen der Verteidigungspolitik, ist ein erster Schritt.

Ja, Europa muss schützen

Wie umfassend Europa schützen soll, ist ein Prozess politischer, demokratischer Willensbildung auf allen Ebenen. Klar ist, Europa muss durch eine strategische Sicherheitspolitik vor allem eines schützen: Die Freiheit, den Rechtsstaat, die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger.

Wer aber einen Satz wie „Ein Europa das schützt“ negativ sieht, der verkennt nicht nur die Aufgabe von Staaten (oder eben der von ihnen gebildeten Institutionen), sondern auch das Grundbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger.

Es ist leider Mode, einzelne Sätze zu zerpflücken, anstatt sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen. Aber genau das würde Europa brauchen: Eine Debatte, wie Europa schützen soll. Die Europawahlen 2019 könnten dazu Anlass geben. Hoffen wir, dass diese stattfinden wird. Und wenn es nur aufgrund von Donald Trump ist, dann war seine Wahl wenigstens gut für ein neues Bekenntnis Europas zu Geostrategie, gemeinsamer Sicherheitspolitik und Freihandel.

Bilder:

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