Die Einkreisung Russlands

Beharrlich hält sich das Gerücht, der Westen plane einen Krieg gegen Russland, das er mit der Nato bereits eingekreist hätte. Ein Kommentar von Karl von Habsburg.

Ende März 2018 veröffentlichte die Hohe Repräsentantin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik einen „Aktionsplan zur militärischen Mobilität“ in der EU. Kaum war die Pressemeldung der EU-Kommission publiziert, kamen über die üblichen Kanäle schon die Meldungen, wonach nun endlich klar sei, die EU werde von den USA in Kriegsvorbereitungen gegen Russland gehetzt. Sämtliche EU-Länder werden nun „von der EU“ angehalten, Straßen und Brücken so auszubauen, dass die Panzer ungehindert Richtung Osten rollen können. Wer einen Blick in den Aktionsplan wagt, wird da nichts finden, was auf Kriegsvorbereitungen auch nur irgendwie hinweisen könnte.

Wenn man die europäische Einigung ernst nimmt, und damit auch die ganz entscheidende Sicherheitsfrage als eines der Kernelemente dieser europäischen Einigung sieht, dann erscheint der Aktionsplan sogar sehr sinnvoll. Er ist zumindest einmal ein kleiner Schritt in Richtung einer Sicherheitsdimension der EU.

Immer wieder kommt aus gewissen politischen Kreisen auch die Behauptung, der Westen bzw. die Nato hätte Russland bereits eingekreist. Ein kurzer Blick auf die Karte beweist die Absurdität dieser These. Nördlich des größten Flächenlandes der Erde ist das ewige Eis, im Süden liegen China und die ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion (in denen der starke Arm Moskaus noch immer zu spüren ist, auch wenn der eine oder andere Staat offiziell die USA im Kampf gegen die Taliban unterstützt), im Westen liegen die Ukraine und Weißrussland, die beide nicht zur Nato gehören. Damit beschränkt sich die gesamte Einkreisung Russlands durch die Nato auf die Grenze zu Estland und Lettland. Das sind gerade einmal ein paar hundert Kilometer. Einzig und allein Kaliningrad, das ehemalige Königsberg, ist tatsächlich von der Nato „eingekreist“.

Ergänzt wird die Einkreisungsthese dann meist mit der Behauptung, die Nato hätte beim Zusammenbruch des Eisernen Vorhanges versprochen, sich nie nach Osten auszudehnen. Beleg dafür gibt es keinen. Umso hartnäckiger hält sich aber das Gerücht. Hätte es dieses Versprechen tatsächlich gegeben, würde es schriftlich fixiert worden sein.

Nun hat es in der Geschichte immer wieder Verschwörungstheorien gegeben. Selten aber haben sie so breite Kreise der Gesellschaft erfasst, die nicht mehr klar zwischen Fakten auf der einen Seite, und Gerüchten, Desinformation und Propaganda auf der anderen Seite unterscheiden können (oder – aus welchen Gründen auch immer – gar nicht mehr wollen).

Je mehr sich derartige Thesen aber festsetzen, umso schwieriger wird es eine vernünftige Politik zu betreiben. Vernünftige Politik kann man nämlich nur auf der Basis von Fakten machen. Hier liegt eine der wirklich großen politischen Herausforderungen für die kommenden Jahre.

Der Artikel erschien ursprünglich auf der Seite von Karl von Habsburg.

Beitragsbild: Europäische Union 2016