Corona, Europa und Desinformation

Im Gespräch mit der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform (das Gespräch führte der Österreich-Korrespondent Wasyl Korotkyi) nimmt der Präsident der Paneuropabewegung Österreich Karl von Habsburg Stellung zur Corona-Pandemie, zur sich ändernden Weltordnung und Russland als Großmeister der Desinformation. Dem wieder aufkommenden nationalistischen Populismus erteilt er eine klare Absage. Das Interview in ukrainischer Sprache können Sie hier nachlesen. Unten folgt die deutschsprachige Version.

Sehr geehrter Herr Karl von Habsburg, vor allem herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Genesung von der COVID-19 und viel Gesundheit für Sie! Wie ist die Behandlung abgelaufen? Wie haben Sie reagiert, als Sie über die Krankheit erfahren haben? Haben Sie sich Sorgen um Ihr Leben gemacht?

Karl von Habsburg: Bei mir ist die Krankheit Gott sei Dank sehr mild verlaufen. Das heißt, ich hatte leichtes Fieber und etwas Husten. Sorgen um mein Leben habe ich mir keine gemacht. Und eine Behandlung gab es auch nicht. Ich war halt zu Hause. Irgendwann so nach zirka einer Woche war das Fieber vorbei, sodass ich noch einmal getestet wurde, und der Test war dann negativ.

Viele Menschen nehmen die COVID-19 Pandemie immer noch nicht ernst und glauben, dass sie davon nicht betroffen sein werden. Oder falls sie doch infiziert werden, wird ihr gesunder Körper diese „Grippe“ überwinden. Was würde Sie diesen Leuten sagen?

Karl von Habsburg: Ich selber bin da ein schlechtes Beispiel für den Ernst der Lage, denn bei mir war es wirklich nichts anderes als eine leichte Grippe. Allerdings war bei dem Treffen, wo ich mich angesteckt habe, auch eine andere Person dabei, die dann zwei Wochen mit einer ernstzunehmenden Lungenentzündung im Spital war. Das Tückische an diesem Virus ist ja, dass die meisten Erkrankungen relativ mild sind. Aber da wo das Virus richtig zuschlägt, wird es gefährlich. Wenn jemand mit seiner eigenen Gesundheit fahrlässig umgeht, dann kann man sagen: na gut, jeder Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied. Aber hier geht es eben um das Leben und die Gesundheit anderer Menschen, weil dieses Virus sehr ansteckend ist. Soviel Verantwortungsgefühl muss man von jedem Menschen verlangen!

COVID-19 hat das soziale und wirtschaftliche Leben auf der ganzen Welt paralysiert, und es ist immer noch schwierig die Konsequenzen dieser „Lähmung“ vorherzusagen. Wird die Welt nach der Coronavirus-Pandemie anders sein? Wird die Corona-Krise zu einer neuen internationalen Ordnung führen?

Karl von Habsburg: Der Verlauf der Pandemie hat gezeigt, dass sich die internationale Ordnung bereits sehr stark wandelt. Noch vor fünf Jahren hätte die USA sehr wahrscheinlich bereits im Vorjahr, als die ersten Fälle aus China bekannt wurden, erste Schritte gesetzt, um gegen eine Pandemie vorzubeugen. Tatsächlich aber hat die führende Weltmacht diesmal gesagt, das geht uns gar nichts an. Vielleicht hat Präsident Trump das wirklich geglaubt. Wie die Welt nach COVID-19 aussehen wird, das kann ich nicht voraussagen. Es wird unter anderem davon abhängen, wie lange diese Krise dauert. Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass die Verschuldung der Staaten extrem ansteigen wird. Das wird eine Belastung für die nächste Generation.

Sollte man die Stärkung der globalen Regierung (Führung) erwarten, oder wird es im Gegenteil die nationalistische Stimmung gestärkt und die Länder werden mehr verschlossen sein?

Karl von Habsburg: Weder noch. Ich halte nichts von der Idee einer globalen Regierung. Es gibt so etwas wie Weltmächte, also Länder, die tatsächlich weltweit operieren können. Die USA ist das Beispiel, aber sie regiert die Welt nicht und wird es auch nicht. Russland möchte Weltmacht sein, wird aber bei einem eingebrochenen Ölpreis wirtschaftliche Probleme bekommen. China versucht unter anderem mit der „Neuen Seidenstraße“ einen weltweiten Führungsanspruch zu erheben. Die nationalistischen Strömungen in Europa, die von einem Zurück in den Nationalstaat der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts träumen, sind auf dem Holzweg. Das muss man klar sagen. Wir sehen, dass die Bedeutung von regionalen Bündnissen in Asien oder auch Afrika, die zum Teil die EU als Vorbild haben, zunehmen wird, was angesichts der Herausforderungen vernünftig ist. Wenn man in der Lage in Europa in nationalen Schranken agieren will, dann ist das wie ein Schuss ins eigene Knie.

Was sind die Auswirkungen auf das europäische Projekt und die weitere europäische Integration? Wird die Europäische Union mehr einheitlich und vereint sein, oder verliert sie ihre Attraktivität, und die nationalen Interessen werden vor den europäischen Vorrang haben?

Widersprüchlichkeit der nationalistischen Populisten

Karl von Habsburg: Wir sehen gerade in dieser Frage die Widersprüchlichkeit der nationalistischen Populisten. Auf der einen Seite kritisieren sie, die EU habe in der Corona-Krise nicht gehandelt, auf der anderen Seite kritisieren sie immer wieder die Einmischung der EU. Die Gesundheitskompetenzen liegen bei den Staaten, da kann „die EU“ nicht handeln. Dort wo sie aber Kompetenzen hat, etwa bei der Koordinierung, hat die Kommission gehandelt, und zwar schneller als die Mitgliedsländer. Dass man in einer Krise sich einmal in die trügerische Sicherheit des Nationalstaates zurückzieht, ist nachvollziehbar. Bei einer vernünftigen Betrachtung der Lage werden wir aber sehr schnell feststellen, dass das eine trügerische Sicherheit ist. Die Wirtschaft, die ja die Grundlage unseres Lebens ist, ist so verzahnt, dass wir allein schon bei der Frage der Erntehelfer, von denen viele auch aus der Ukraine kommen, oder der Frage der Pflegekräfte sehen, dass wir die Grenzen nicht dicht machen können. Unser Wohlstand, und nur eine reiche Gesellschaft kann sich ein hochwertiges Gesundheitssystem leisten, beruht auf einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Das ist jetzt der materialistische Grund für die Wichtigkeit der europäischen Einigung. Dazu kommt aber auch noch der sicherheitspolitische und der außenpolitische Aspekt. Als kleine Nationalstaaten werden wir zum Spielball anderer Mächte. Die Europäische Union soll nicht etwas werden wie ein Nationalstaat. Dass wir aber beispielsweise in der Außenpolitik als EU stärker auftreten können als einzelne Länder, sollte jedem klar sein.

Die Maßnahmen, die wegen der Pandemie verhängt wurden, haben die Bewegungsfreiheit drastisch eingeschränkt. Was wird mit dem Schengen-Raum passieren? Wird es möglich für die Europäer sich frei zu bewegen so wie es vor der Krise möglich war, oder kann man das vergessen?

Die vier Grundfreiheiten haben uns viele Vorteile gebracht

Karl von Habsburg: Ich betone das immer wieder: Die Reisefreiheit innerhalb Europas, die uns das Schengen-Abkommen gebracht hat, ist einer der großen und wichtigen Errungenschaften der europäischen Einigung. Die vier Grundfreiheiten haben uns allen viele Vorteile gebracht. Wir brauchen ja nur an die stundenlangen Wartezeiten denken, zu denen es aufgrund der Grenzschließungen gekommen ist. Erstens kann das kein vernünftiger Mensch als Ziel haben, zweitens kann kein vernünftiger Mensch glauben, dass das gut ist. Es ist schlimm genug, dass wir an den Schengen-Außengrenzen diese stundenlangen Wartezeiten haben. Die Ukrainer können ein Lied davon singen. Was wir brauchen ist ein vernünftiger und effektiver Schutz der Außengrenzen, um die Migrationsbewegungen kontrollieren zu können, aber innerhalb Europas müssen offene Grenzen das Ziel sein. Kontrollen, etwa bei verdächtigen Fahrzeugen, kann man auch innerhalb eines Landes durchführen, dazu braucht man nicht Staus zu produzieren. Ich hoffe doch, dass sich in der Frage die Vernunft durchsetzen wird.

Wegen der Corona-Krise erwartet der IWF die schwerste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression, und es kann sein, dass nicht alle Regierungen diese Krise gut meistern werden. Kann es dazu führen, dass es zu Regierungswechsel kommen kann, oder in einzelnen Ländern sogar politische Regime sich ändern?

Karl von Habsburg: Viele der wirtschaftlichen Auswirkungen können wir noch gar nicht abschätzen. Ich frage mich beispielsweise immer wieder, was der so stark gesunkene Ölpreis für Folgen haben wird. Ich weiß aber die Antwort nicht. Was ich weiß ist, dass jede Krise auch eine Chance ist. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist da ein gutes Beispiel, das zeigt, welche Auswirkungen politische Prinzipien haben. Viele Länder waren zerstört. In Deutschland und Österreich kam es zum sogenannten Wirtschaftswunder, das beiden Ländern ab den fünfziger Jahren einen Aufschwung bescherte. Das war in Deutschland die Politik von Ludwig Erhard, in Österreich wurde es als Raab-Kamitz-Kurs bekannt. Die Grundlage war die wirtschaftliche Freiheit. Das wird auch jetzt die entscheidende Frage sein. Fallen wir zurück in staatswirtschaftliche Konzepte, die vielleicht irgendwelchen Oligarchen dienen, oder nehmen wir Ludwig Erhard als Beispiel, dessen Politik einem breiten Mittelstand den Aufstieg ermöglicht hat. Das ist übrigens auch das beste Rezepte für stabile demokratische Systeme, weil diese Politik auf Subsidiarität und Rechtsstaatlichkeit beruht. In einem solchen System beunruhigt mich auch ein Regierungswechsel nicht. Gefährlich wird es nur, wenn es zu einem populistischen Wettlauf kommt.

Dabei, wie es bekannt ist, die sinkende Einkommen und steigende Ungleichheiten können zu einem weiteren Erstarken populistischer Parteien führen. Bedeutet es, dass es die „goldene Ära“ für Populisten der Welt und Europas kommen kann?

Karl von Habsburg: Die Gefahr besteht natürlich. Das große Talent der Populisten besteht darin, ihre Finger in die Wunden der Gesellschaft und der Politik zu legen. Sie können aber keine Lösungen anbieten, nur Scheinlösungen. Vernünftige Menschen sollten deshalb immer skeptisch sein, wenn Politiker Lösungen für alles anbieten wollen. Das funktioniert nicht, weil wir Menschen von Gott als freie Menschen geschaffen wurden. Deshalb ist es nicht Aufgabe der Politik alles für uns zu regeln, sondern einen Rahmen zu schaffen, in dem wir in Freiheit und Sicherheit agieren können.

Russland unterstützt aktiv europäische Rechte und populistische Bewegungen, und somit schafft es ein Netzwerk von Kreml-Verbündeten in Europa damit die Einheit in der EU zu brechen. Jetzt hat Moskau Hilfe für das besonders von Coronavirus betroffene Italien geleistet, das eher einer PR-Kampagne ähnelt: EU hat Italien allein gelassen und nur die Russen sind zur Rettung gekommen. Wie sehen Sie die Rolle von Moskau in Europa nach der Krise und die Beziehungen zwischen der EU und Russland?

Russland will Europa spalten

Karl von Habsburg: „From Russia with love” stand auf den russischen Lkw, die durch halb Italien gefahren sind. Russland ist ein Meister der Desinformation. Und das Beispiel zeigt wunderbar, wie Desinformation funktioniert. Die EU hat bereits Anfang Februar eine gemeinsame Vorgehensweise vorgeschlagen. Die Staaten haben gemeint, sie hätten alles unter Kontrolle. Gerade in der Lombardei, also der Region Italiens – noch dazu eine reiche Region –, die so hart getroffen wurde, hat die Regionalpolitik noch Leute im Gesundheitsweisen gekündigt, weil sie Masken getragen haben. Masken würden Panik erzeugen, so die Rechtfertigung für die Kündigungen. Dann trat das Virus seinen Siegeszug an, plötzlich haben alle Länder gemerkt, dass es einen Mangel an Schutzausrüstung gibt. Natürlich konnte die EU keine Hilfslieferungen schicken. Sie hat keine Kompetenz in der Gesundheitspolitik, die koordinierte Vorgehensweise, war von den Ländern abgelehnt worden. In der Situation schickt Russland eine ABC-Abwehreinheit des Militärs. Das sieht viel martialischer aus als die Schutzmasken in den Krankenhäusern. Aber das ist eine Einheit, die für ein Schlachtfeld geschaffen wurde, nicht für eine Pandemie. Die Bilder mit den Lkw und der Meldung, Russland hilft Italien, geht durch alle Medien. Und schön langsam kommen dann die Stimmen, die festhalten, dass Russland kaum etwas geliefert hat, was brauchbar gewesen wäre. Aber Moskau hat seinen PR-Coup gelandet. Ich habe selbst, und auch meine Mitarbeiter, immer wieder mit Leuten zu tun gehabt, die auf diese Geschichte hereingefallen sind. Sobald man mit Fakten argumentiert hat, brach ihre schöne Geschichte zusammen. Russland sucht seine Rolle in der Weltpolitik. Moskau hat kein Interesse an einem geeinten Europa. Ein geeintes Europa stört die russische Machtpolitik, die darauf beruht, durch Spaltung der politischen Mitbewerber auf der politischen Bühne deren Politik zu schwächen. Die Spannungen werden zunehmen, oder Europa lässt sich spalten, dann sind wir aber unbedeutend.

Gleichzeitig versucht die Russische Föderation die aktuelle Krise zu nutzen, um die Sanktionen gegen sie wegen Aggression gegen die Ukraine und Besetzung der Krim aufzuheben. Die russische Seite hat bereits wiederholte Aussagen dazu gemacht. Kann sie es schaffen? Wie sollen die europäischen Hauptstädte darauf reagieren?

Karl von Habsburg: Moskau agiert hier sehr geschickt, und setzt nicht nur auf die sogenannten Rechten. In der ganzen Propagandaschlacht sind teilweise auch noch die alten kommunistischen Strukturen im Einsatz. Das haben wir in Österreich gesehen, aber auch in Deutschland, wo dann Stasi-Leute wieder auftauchen. Das Problem ist, dass wir in Europa anders denken als Moskau. Jede Stimme in Europa, die für ein Ende der Sanktionen ist, ist für Moskau ein Beweis, dass die Eroberung legitimiert wird. Das ist ein Anreiz, die Politik der Aggression fortzusetzen. Wenn Europa hier nachgibt, dann geben wir unsere eigenen Prinzipien auf.

Wird die Korona-Krise einige Auswirkungen auf die Aussichten einer EU-Erweiterung haben? Die Ukraine hofft, Teil einer großen europäischen Familie zu werden. Jetzt nehmen die Chancen ab?

Karl von Habsburg: In dieser Frage hat die EU – wenn auch mit einigen Verzögerungen – Handlungsfähigkeit bewiesen. Mit Albanien und Mazedonien (jetzt offiziell Nord-Mazedonien) sollen nun die Beitrittsgespräche beginnen. Das ist gut. Die Ländern Südosteuropas gehören eindeutig zu Europa. Die Ukraine ist von einem solchen Schritt noch weit entfernt. Sie ist in der Nachbarschaftspolitik, die eine Beitrittsperspektive ausschließt. Deshalb haben wir in der Paneuropa-Union klar gesagt, dass wir eine Änderung der Politik für die Ukraine brauchen, mit einer klaren Beitrittsperspektive. Das Ziel ist hier ganz klar, der Weg aber ist sicher noch sehr steinig.

c Beitragsbild: Katharina Schiffl