Serbien ist EU-Beitrittskandidatenland. Die Verhandlungen aber gehen sehr zäh voran. Das liegt nicht nur an der EU sondern vor allem an der politischen Lage im Land. Seit Monaten kommt es zu Protesten gegen die Regierung unter Präsident Alexander Vucic, der autorität regiert. Die Korruption ist grassierend. Das System Vucic allerdings wehrt sich mit Vehemenz gegen Neuwahlen.
„Die Erweiterung ist das wichtigste geostrategische Instrument, das die Europäische Union hat.“ Außenministerin Beate Meinl-Reisinger machte mit dieser Aussage deutlich, dass es bis zur Strategiefähigkeit der Europäischen Union in der Außenpolitik noch einige weitere Entwicklungen braucht, die Erweiterungspolitik bisher aber das wichtigste außenpolitische Instrument der EU ist. Eingebettet war dieses klare Bekenntnis für die in Österreich nicht sehr beliebte EU-Erweiterung in eine Diskussionsveranstaltung der Paneuropabewegung Österreich in Kooperation mit dem Neos-Parlamentsclub im Parlament in Wien.
„Serbiens Weg in die Europäische Union“ lautete der Titel der Veranstaltung. Ein Weg der nun schon zirka 20 Jahre dauert, in dem es aber bisher wenig Fortschritte gegeben hat. Das liegt nicht nur an der Europäischen Union, sondern im konkreten Fall auch an der Politik in Serbien.
Dort ist Alexander Vucic der starke Mann. Begonnen hat er seine Karriere unter dem Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic. Seine Partei gehört auf europäischer Ebene zur Europäischen Volkspartei. Vucic regiert autoritär. Seit Monaten protestieren nun Studenten gegen seine Politik. Auslöser war ein Einsturz einer Bahnstation, bei der Menschen ums Leben kamen. Der Korruption in der Bauwirtschaft wird die Schuld an dieser Katastrophe gegeben.
Doch die Reaktion des Regimes ist Härte gegen die Protestierenden. Am System ändert sich nichts. Die Korruption grassiert.
In der Geopolitik gibt es kein Vakuum
Außenministerin Beate Meinl-Reisinger unterstrich in ihrer Einleitungsrede die Bedeutung der Erweiterung der Europäischen Union. Wobei es gerade bei der Aufnahme der Länder des Westbalkan weniger um eine Erweiterung als vielmehr um das Schließen eines Loches auf der Landkarte geht. „In der Geopolitik gibt es kein Vakuum“, so die Ministerin. Wenn sich Europa nicht um die Region kümmert, werden es andere tun.

Ein hochkarätig besetztes Panel diskutierte die politische Lage in Serbien: Von links: Markus Kaiser, Friedrich Naumann Stiftung; Armina Galijas, Ass. Prof. Graz, derzeit Zürich; Andreas Grassl, Moderator, Journalist; Pavle Grbovic, Mitglied im serbischen Parlament (von der liberalen Oppositionspartei Pokret slobodnih građana, PSG, auf Deutsch: Bewegung der freien Bürger) und Michael Martens, Südosteuropakorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ.
Auch wenn die lange Geschichte zwischen Serbien und Österreich in vielen Bereichen komplex war, so ist die Integration des Landes in die EU für sie ein „Herzensanliegen“.
Für Österreich selbst war die EU-Erweiterung bisher eine Erfolgsgeschichte. Die Exporte in diese Länder haben sich verdreifacht, womit Arbeitsplätze und Wohlstand in Österreich geschaffen wurden. Auch in den Westbalkanländern gehören österreichische Unternehmen zu den wichtigsten Investoren.
Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit
Unternehmen brauchen für ihre Investitionen Rechtssicherheit. Deshalb sind auch die Reformen in die Rechtsstaatlichkeit ganz entscheidend. Davon profitieren wiederum die Länder selber, womit sich ihre Wachstumschancen vergrößern. Gerade in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Meinungsfreiheit muss Serbien Reformen umsetzen.
Für die österreichische Außenministerin geht es auch um eine Überwindung des Nationalismus und um die Frage der Sicherheit. „Wir müssen Stabilität exportieren, sonst importieren wir Instabilität“, unterstrich sie die Bedeutung eines EU-Beitrittes für die Stabilität eines Landes und die Region. Ein Grundsatz, der auch für die Ukraine gilt.
In Europa gibt es klarerweise eine Sehnsucht nach Frieden, nach einem Europa ohne Grenzkontrollen. Bilaterale Themen, so Meinl-Reisinger, dürften nicht zu permanenten Blockaden in der Erweiterungspolitik führen.
Systemwechsel in der Politik ist notwendig
Neos-Klubobmann Yannick Shetty, betonte die Notwendigkeit eines Systemwechsels in der serbischen Politik mit der Formulierung: „Wer Rechtsstaatlichkeit nicht schützt, darf nicht auf Toleranz hoffen.“
Der Präsident der Paneuropabewegung Österreich Rainhard Kloucek hatte bereits zuvor in seiner Eröffnungsrede den Grundsatz „Paneuropa ist ganz Europa“ betont, mit dem klar gemacht wird, dass jedes europäische Land das Recht hat an der europäischen Einigung mitzuwirken.

Ein klares Bekenntnis zur Aufnahme der Länder des sogenannten Westbalkan in die Europäische Union kam von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger. „Die Erweiterung ist das wichtigste geostrategische Instrument, das die Europäische Union hat,“ formulierte sie , um so auf eine notwendige „Strategiefähigkeit in der Außenpolitik und Sicherheitspolitik“ hinzuweisen. Gerade Österreich hat massiv von der bisherigen EU-Erweiterung profitiert.
Unter der Moderation des vor allem durch seine Tik-Tok- und Youtube-Beiträge bekannten Bloggers Andreas Grassl diskutierten die aus Bosnien-Herzegowina stammende Universitätsprofessorin (Graz, derzeit Zürich) Armina Galijas, der Südosteuropakorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ Michael Martens, Markus Kaiser von der Friedrich Naumann Stiftung sowie der serbische Oppositionspolitiker Pavle Grbovic´von der Partei Pokret slobodnih gradana PSG (auf Deutsch: Bewegung der freien Bürger) die Lage in Serbien. Die Politik des Präsidenten, die Bewertung der Protestbewegung und der Weg in die EU standen im Mittelpunkt der Diskussion.
Noch 100 Jahre für die Verhandlungen
Mit einem Zahlenbeispiel aus Montenegro, das aber ähnlich auf Serbien angewandt werden kann, unterstrich Michael Martens den sehr schleppend verlaufenden Beitrittsprozess zur EU: würde man im bisherigen Tempo weiterverhandeln und die Kapitel abschließen, dann wäre der Verhandlungsprozess im Jahr 2127 abgeschlossen. Die EU bietet derzeit keine Perspektive für die Menschen, Serbien selbst hat in seiner politischen Entwicklung auch deutliche Rückschritte gemacht.
Menschen haben Vertrauen verloren
Ähnlich skeptisch äußerte sich Pavle Grbovic´. Nur ein Drittel der Serben unterstützt den Weg in die EU. Die Menschen seiner Heimat haben nach seiner Interpretation das Vertrauen verloren, dass der Weg zu einem Ende führt. Allerdings ist für ihn auch klar, dass niemand in Serbien den Weg nach China will. „Wer den Weg in die EU unterstützt“, so der Oppositionspolitiker, „braucht auch die Unterstützung der EU.“
Im Gegensatz zu der Protestbewegung 2013/2014 in der Ukraine (Revolution der Würde) sind bei den Protesten in Serbien keine europäischen Fahnen zu sehen. Ein Faktum, das die Universitätsprofessorin Armina Galijas keinesfalls als negativ werten will. Für sie bedeutet das nicht unbedingt eine Ablehnung der EU. Es nimmt jedenfalls Alexander Vucic die Möglichkeit zu behaupten es handle sich hier um eine sogenannte Farbrevolution, also eine Protestbewegung, die von außen gesteuert würde.
Die Lage in Serbien und die Wahrnehmung der Wirklichkeit beschrieb Markus Kaiser mit einem Beispiel von dem gewaltsamen Vorgehen serbischer Banden im Kosovo, als ein kosovarischer Polizist getötet wurde. Während alle, die ausländische Medien konsumierten, bereits über die Kämpfe informiert waren, kam in den serbischen Nachrichten nichts. Erst zu den Abendnachrichten erklärte Vucic, dass Serben getötet wurden. Am nächsten Tag waren die Zeitschriften voll mit Geschichten über die getöteten Freischärler, inklusive Homestories über die Familien. Man könne hier gar nicht mehr von fake news sprechen, betonte Kaiser, sondern müsse das als „Fake Realität“ bezeichnen.

Neos-Klubobmann Yannick Shetty betonte in seiner Begrüßungsrede die Notwendigkeit eines Systemwechsels in der serbischen Politik mit der Formulierung: „Wer Rechtsstaatlichkeit nicht schützt, darf nicht auf Toleranz hoffen.“
Wie genau die Protestbewegung zu bewerten ist, konnte nicht endgültig geklärt werden. So verwies Michael Martens auf eine Kundgebung am 28. Juni dieses Jahres, also am Veitstag, in der die Reden stark nationalistisch geprägt waren. Klar sagen, ob das jetzt eine reine nationalistische Bewegung sei, könne man damit aber nicht.
Dass bei Neuwahlen, wie sie Pavle Grbovic´ mit seiner Partei fordert, die Oppostion als Sieger hervorgehen würde, könne man auch nicht sagen. Die Protestbewegung will mit einer eigenen Liste antreten. Noch weiß aber keiner, wer die Leute sind, die auf dieser Liste antreten würden.
Was ist die Machtbasis der Regierung
Charakteristisch für das politische System Serbiens ist die Machtbasis von Präsident Vucic. Armina Galijas beschreibt es als ein Klientelsystem. Die Partei von Vucic hebt Parteigänger in wichtige Positionen im Staat, davon leben sie gut. Bei einer Bevölkerung von zirka sieben Millionen hat die Partei von Vucic 700.000 bis 800.000 Mitglieder. Wer etwas braucht geht zu einem Parteimitglied, ein entsprechendes Wahlverhalten ist dann die Gegenleistung. Dazu kommt, wie Michael Martens berichtet, dass beispielsweise bei Lokalwahlen Leute aus der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina herangekarrt werden, die dann mit nicht echten Adressen versehen entsprechend wählen.
Pavle Grbovic´ berichtete von Parteikollegen die unter dem Vorwand des Aufstandes unter Hausarrest gestellt wurden. Hier brauche es ebenfalls klare Signale von der EU. Seine Botschaft war klar: Serbien braucht eine politische Veränderung.
Veränderung muss durch Wahlen erfolgen
Gefragt, ob diese auch durch einen gewaltsamen Umsturz kommen könnte, betonte er, dass er mit seiner Partei für einen demokratischen Wechsel eintritt. Die Reformen würden auch den Bürgern zugute kommen. Sie sollten wieder eine Wahl haben. Das wäre für die Serben auch der günstigste Preis.
Die Kokettiererei von Vucic mit Serbien bezeichnete er als Gefahr für das Land.
c Fotos: Laurin Sausgruber