Lehren aus der Geschichte

Was hat das Vermächtnis der Habsburger für eine Bedeutung für die Zukunft der Europäischen Union? In Lemberg fand dazu eine hochkarätig besetzte Veranstaltung an der dortigen katholischen Universität statt, begleitet von weiteren Gesprächen über Paneuropa und die europäische Einigung.  Von Rainhard Kloucek

Offiziell öffnet das Cafe Wien in Lemberg (Lviv, Galizien, Ukraine) um 09:00. Die Tür ist bereits offen, also betritt der Chronist schon eine halbe Minute davor das Cafe (es liegt im gleichen Gebäude wie das Hotel Wien). Die Kellnerin wünscht freundlich einen guten Morgen, erkundigt sich nach den Wünschen, dreht sich plötzlich weg, bekreuzigt sich und blickt andächtig Richtung Straße. Es ist exakt 09:00. Auf der Straße bleibt der Verkehr stehen. Mehrere Autofahrer steigen aus, bleiben andächtig neben dem Wagen stehen. Man hört einen Gong, der jede Sekunde schlägt. Nach einer Minute beginnt das Leben wieder. Der Gast im Cafe Wien kann sein Frühstück genießen.

Der Vernichtungskrieg eines Tyrannen

Es ist Krieg in der Ukraine. Um es zu präzisieren: es ist ein Krieg gegen die Ukraine, begonnen von einem größenwahnsinnigen Tyrannen in Moskau, der davon träumt das Sowjetreich wieder zu errichten und Russland zu neuer imperialistischer Größe zu führen. Dazu muss er unter anderem die Ukraine niederwerfen. Der spricht er nämlich das Existenzrecht ab, ebenso wie den Ukrainern selbst. Der Krieg trägt eindeutig genozidale Züge. Berichte, die kurz nach dem Besuch in Lemberg über den grausamen Foltertod einer ukrainischen Journalistin, die den Russen in die Hände gefallen ist, veröffentlicht wurden, sind nur einer von vielen Belegen über die unmenschliche Brutalität des Moskauer Regimes.

Teuflische Brutalität der Folterknechte Moskaus

Augen herausgerissen, Zungenbein gebrochen, sind nur zwei Beispiele aus dem Bericht über den Foltertod der Journalistin. Wer weiß wo das Zungenbein liegt, kann in etwa erahnen, welch teuflische Brutalität die Folterknechte Moskaus antreibt.

Hotel und Cafe Wien in der Innenstadt von Lemberg (Lviv).

In Lemberg merkt man vom Krieg erst einmal nichts. Die Geschäfte sind offen, die Lokale sind voll, vor der Oper funktioniert das Wasserspiel, auf dem Platz spielen Straßenmusikanten, es ist viel Verkehr, an der Universität ist normaler Betrieb. Wenn man an Kirchen vorbeigeht merkt man aber, dass es entweder gerade eine Beisetzungsfeier gibt, oder eine eben beendet wurde, oder eine vorbereitet wird. Die Anwesenheit von Uniformierten ist ein Beleg dafür, dass hier ein Verteidiger der Ukraine verabschiedet wird. Auf öffentlichen Plätzen sieht man Fotos von gefallenen Verteidigern.

Ein Buch als Motivation für eine Diskussion

Die niederländische Journalistin Caroline de Gruyter hat vor einigen Jahren ein Buch publiziert: „Das Habsburgerreich – Inspiration für Europa?“ Als Korrespondentin war sie einige Jahre in Wien, hat in der Nähe von Schönbrunn gewohnt und aus ihren vielen Begegnungen mit den habsburgischen Spuren in Wien ein Buch geschrieben. Als Europakorrespondentin verfolgte sie die Politik von Otto von Habsburg, und versuchte in dem Buch den Bogen zu spannen, von dem was das Habsburgerreich einst war, zu dem, was die Europäische Union werden könnte oder sollte.

Das erwähnte Buch war wiederum Inspiration für eine Veranstaltung in Lemberg an der dort ansässigen katholischen Universität. Eine private Universität, mit ausgezeichnetem Ruf. „Habsburg Legacy and the Future of the European Union“. Also „Das Vermächtnis der Habsburger und die Zukunft der Europäischen Union“. Neben Caroline de Gruyter waren der ukrainische Historiker Yaroslav Hrytsak und der Chronist zu dieser Diskussion geladen.  Moderiert hat die Universitätsprofessorin Iryna Starovoyt.

Was bedeutet das Vermächtnis der Habsburger für die Zukunft der Europäischen Union? Die niederländische Journalistin Caroline de Gruyter (zweite von rechts), hatte nach ihrer Korrespondenten-Tätigkeit in Wien zu dieser Frage ein Buch geschrieben, das wiederum die Motivation für eine Diskussion zu diesem Thema an der katholischen Universität in Lemberg (Lviv) in der Ukraine war. Dazu sprachen der ukrainische Historiker Yaroslav Hrytsak (rechts im Bild) und der Präsident der Paneuropabewegung Österreich Rainhard Kloucek, unter der Moderation von Iryna Starovoyt.

49 Fragen, so die Moderatorin, habe sie vorbereitet. Nach der vierten Frage meinte sie, sie hätte gar nicht so viele Fragen vorbereiten müssen, denn die Diskussion habe längst ihre eigene Dynamik genommen.

Aus der Geschichte kann man lernen

Keine Nostalgie, so eine der Kernaussagen in der Diskussion. Denn Geschichte sei Geschichte, sollte deshalb auch zur Bewertung den Historikern überlassen werden, und keinesfalls für irgendwelche Ansprüche – das war natürlich eine Anspielung auf Putins Anspruch auf die Ukraine – geltend gemacht werden.

Doch, und auch da waren sich die Gesprächspartner der Diskussion einig, aus der Geschichte könne man Lehren ziehen, aus der Geschichte das Habsburgerreiches könne man deshalb auch Lehren für das weitere Funktionieren der Europäischen Union ziehen.

Übernationale Ordnung und Nationalstaat

Denn, das Habsburgerreich war eine übernationale Ordnung mit vielen Völkern, Nationen. Während das Habsburgerreich aber vom Nationalstaat (mehreren Nationalstaaten) abgelöst wurde, geht die heutige EU auf eine Gründung durch Nationalstaaten zurück. Die Habsburgermonarchie kannte eine dezentrale Ordnung, auch die EU kennt eine dezentrale Ordnung und hat supranationale Institutionen.

Dezentrale Ordnung erlaubt Einheit in Vielfalt

Diese dezentrale Ordnung erlaube eine Einheit in der Vielfalt, die auch die EU kennzeichnet. Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, so wie es sie auch in der Habsburgermonarchie gab, würde aber wohl auch die Europäische Union stärken.

Unterstützt wurde die Veranstaltung unter anderem von der österreichischen Botschaft in Kyiv (Botschafter Arad Benkö war einer der Initiatoren, mittlerweile ist er Kabinettschef bei Außenministerin Beate Meinl-Reisinger) und vom OEAD, der Agentur für Bildung und Internationalisierung, zu der auch das Kooperationsbüro in Lemberg gehört.

Die Paneuropa-Idee und die europäische Einigung

Dieses Kooperationsbüro, das seinen Sitz an der Universität in Lemberg hat, organisierte wiederum eine Diskussion mit Studierenden der internationalen Beziehungen zum Thema: „Paneuropa – von der Idee der europäischen Einigung zu ihrer Realisierung“.

Dabei ging es einerseits um die Entstehung der Paneuropa-Union, den geopolitischen Ansatz dieses Konzeptes und andererseits um die realpolitische Einigung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg.

Eine besondere Rolle in dem Vortrag spielte dabei die Überwindung des Eisernen Vorhanges, wodurch die europäische Einigung für alle europäischen Länder offen stehen sollte. Die Ukraine war von dieser Möglichkeit lange ausgeschlossen, spielt aber nun eine entscheidende Rolle, weil sich im Verteidigungskampf gegen die russische Vernichtungsinvasion auch das Schicksal eines freien Europa entscheiden wird.

Junge Generation muss die Zukunft gestalten

Auch wenn die Diskussion mit den jungen Studierenden erst schleppend begann, wurde sie dann sehr lebhaft und spannend. Für die jungen Ukrainer war klar, dass es auch an ihnen liegen wird, wie sich das Land weiter entwickelt, wie es seinen Weg in die Europäische Union gehen wird.

Um die europäische Einigung generell sowie die Situation in der Ukraine speziell und die Paneuropa-Idee grundsätzlich ging es bei einer Diskussionsveranstaltung mit Studierenden der Fachrichtung internationale Beziehungen an der Universität in Lemberg (Lviv).

Viele äußerten den Wunsch, später in der Diplomatie und in internationalen Organisationen selber einen Beitrag für die europäische Einigung leisten zu können. Der Dozent musste schließlich darauf hinweisen, dass der Hörsaal nun verlassen werden müsse, weil die nächste Veranstaltung beginnt.

Den Abschluss der Veranstaltungen bildete schließlich ein Vortrag über Paneuropa im Lyceum 8. Die Direktorin der Schule Oksana Kurska hatte bei einer Studienreise nach Österreich im Herbst des Vorjahres einen ersten Kontakt zu Paneuropa etabliert, und lud nun Direktoren (anwesend waren Direktorinnen) mehrerer Schulen zu einem Gespräch über die Idee von Paneuropa und die europäische Einigung.

Im Gespräch mit ukrainischen Paneuropäern konnte der Chronist auch weitere Projekte für Paneuropa in der Ukraine besprechen. Darunter eine Ausstellung über Otto von Habsburg, der die Paneuropa-Union 30 Jahre lang geführt hatte, und damit verbunden eine Serie von Veranstaltungen in der gesamten Ukraine über Paneuropa, die europäische Einigung und die Notwendigkeit einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik.

Beitragsbild: Das Opernhaus der Stadt. Auf dem belebten Platz im Zentrum der Stadt merkt man vom Krieg Russlands gegen die Ukraine kaum etwas. Das Wasserspiel funktioniert, das Leben geht weiter, die Geschäfte sind offen. Allerdings wurde die ganz im Westen der Ukraine gelegene Stadt auch schon mit russischen Raketen angegriffen. Dabei wurden auch Menschen getötet.