Linke Defizite als Väter des Rechtsrucks

Die Sieger der Nationalratswahl heißen nicht nur Kurz, Pilz und Strache. Auch die Meinungsforscher dürfen von sich behaupten, schon deutlich schlechter abgeschnitten zu haben. Eine Analyse von Wilhelm Ortmayr.

Nahezu alle Prognosen lagen innerhalb einer Schwankungsbreite von plusminus zwei Prozent und das über Monate hinweg. Das beweist zweierlei: Die Empiriker haben einen guten Job gemacht und die Österreicher ihre Entscheidung nicht im letzten Moment aus dem Bauch heraus getroffen.

Umso ernster müssen die Parteien die Ergebnisse nehmen und sie detailliert diskutieren. Erste Reaktionen seitens der SPÖ und der Grünen – angesiedelt irgendwo zwischen Wähler- und Medienbeschimpfung – lassen jedoch das genaue Gegenteil erwarten. Dabei hätten gerade diese beiden Gruppierungen eine ehrliche Nabelschau dringend nötig – ungeachtet dessen, welchen Platz die Sozialdemokraten letztendlich belegen oder ob die Grünen im Parlament bleiben oder nicht.

 

Grüne Niederlage: Realitätsferne als Hauptgrund

Die Grünen zahlen (neben den nicht mehr angetretenen Parteien BZÖ und Team Stronach) die Zeche dieser Wahl. Zehn Monate nach dem Sieg Alexander van der Bellens verlieren sie Haus und Hof, zugunsten fast aller anderen. Und kein/e Grüne/r soll sagen, man hätte sie/ihn nicht gewarnt. Mit einer Beratungsresistenz, die ihresgleichen sucht, ist die Partei von einem schweren Fehler in den nächsten geschlittert. Das oft postulierte „hohe Konfliktlösungspotenzial von Frauen“ hat in der in den vergangenen Jahren immer weiblicher gewordenen Partei völlig ausgelassen. Flora Petrik und Peter Pilz lassen grüßen.

Längst ist das Fahrrad zum Symbol der Zuschreibungen grüner Politik in Österreich geworden. Es steht für ein im Grunde positives Signal, während größere Probleme ignoriert werden. Von © Foto: Ra Boe / Wikipedia /, CC BY-SA 3.0 at, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23305035

Längst ist das Fahrrad zum Symbol der Zuschreibungen grüner Politik in Österreich geworden. Es steht für ein im Grunde positives Signal, während größere Probleme ignoriert werden.
Von © Foto: Ra Boe / Wikipedia /, CC BY-SA 3.0 at, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23305035

Doch sie allein haben das Desaster nicht verschuldet. Aus der Bewegung, die vor dreieinhalb Jahrzehnten angetreten war, um Österreich von Korruption und Filz zu befreien und sein ökologisches Bewusstsein und Handeln zu optimieren, ist ein „sozialromantischer Haufen von Realitätsverweigerern“ geworden, meinten nicht wenige, die diesmal Pilz oder gar rot/türkis wählten. Mit Verboten und erhobenem Zeigefinger sowie dem fortwährenden Ruf nach noch mehr Gesetzen haben die Grünen viele liberales Potenzial vertrieben. Dieselsteuer und Streckenmaut verscheuchten viele Berufstätige, allen voran die Pendler. Und mit Primärthemen wie Inklusion, Integration und Bildung gewinnt man möglicherweise ein tugendhaftes Profil, aber sicher keine Wahlen.

All das wollte die Grüne Führung monatelang nicht hören. Und sie weigerte sich vehement, das Primärthema „Migration“ so zu definieren, dass beim Wähler das Gefühl entsteht, die Politik habe die Sache erstens im Griff und zweitens einen Plan B. Unter diesen Vorzeichen zog nicht mal mehr die wirklich glaubhaft gelebte Antithese zur FPÖ als gutes Wahlargument. Die Folgen sind bekannt. Das Stimmvolk hat sich von den Grünen abgewandt und ist „heimgekehrt“. Teilweise zu den Wurzeln der Bewegung in Pilzscher Form, teilweise  zur Volkspartei, in den Städten zur SPÖ.

 

Schwächelnde Sozialdemokratie

Die wiederum sollte sich aber hüten, das Halten des historisch schlechtesten Wahlergebnisses ihrer Geschichte als Erfolg zu feiern bzw. einigen Boulevardzeitungen in die Schuhe zu schieben. Eine Wahl, bei der fast 20 Prozent der Stimmanteile in Bewegung sind, ohne Zugewinne zu

Gegenüber den Medien stellte Bundeskanzler Christian Kern sein Abschneiden als Erfolg dar. Echte Zugewinne hatte er aber keine zu verbuchen. © Bundeskanzleramt / Regina Aigner

Gegenüber den Medien stellte Bundeskanzler Christian Kern sein Abschneiden als Erfolg dar. Echte Zugewinne hatte er aber keine zu verbuchen.
© Bundeskanzleramt / Regina Aigner

beenden, sollte als Alarmsignal verstanden werden. Denn dass es keine Verluste gab, ist wohl lediglich grünen Leihstimmen zu verdanken, die einen konservativen Kanzler verhindern wollten, keinesfalls aber dem besseren oder zukunftsorientierteren Programm. „Erfolgreiche Politik muss den Menschen Antwort geben auf die Frage: Wie leben wir morgen?“, hat Bruno Kreisky vor 50 Jahren sinngemäß gesagt. „So gut wie gestern“ ist weder eine schlüssige noch für die Zukunft Mut machende Antwort auf diese Frage.

Zudem fällt auf, dass die sozialdemokratischen Gewinnzonen primär bürgerliche Gegenden sind, nicht die Viertel der Arbeiterschaft. Es stimmt also keineswegs, dass die gebietsweise beachtlichen Zugewinne der SPÖ ein Fingerzeig dafür seien, dass die urbanen Ballungsräume, wo Migration und direkter Kontakt zwischen den Kulturen wirklich stattfinden, gegen den rechtspopulistischen Mainstream gewählt hätten.

Das Gegenteil ist der Fall. In Wien beispielsweise haben die Innergürtelbezirke, in Salzburg und anderen Landeshauptstädten die Zentren und die nobleren Stadtteile von Grün zur SPÖ geschwenkt. Genau jene Viertel also, in der Migranten kaum vorkommen. Linksliberale Bildungsbürger und Besserverdiener waren es, die der SPÖ den Rücken gestärkt haben – jene also, deren Komfortzone durch einen „Rechtsruck“ wohl am ehesten bedroht wäre. Weiterhin völlig ohne Bodenhaftung reduziert sich die SPÖ jedoch am Land und merklich auch bei den Bewohnern der urbanen „Brennpunktregionen“. Es überrascht nicht: Kern punktet in den bourgoisen „Blasen“ – der Gemeinbau bleibt ihm verschlossen.

 

Wilhelm Ortmayr ist freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Salzburg und Wien.

 

Paneuropa-Nachwahlanalyse.

 

Teil 1: „Der nächste Zug?“ von Lukas Leitner.

Der nächste Zug? Versuch einer Nachwahlprognose.

Teil 2: „Linke Defizite als Väter des Rechtsrucks“ von Wilhelm Ortmayr.

Teil 3: „Fünf Gewinner, ein Verlierer“ von Patrick Minar

Fünf Gewinner, ein Verlierer