Habsburg: Der Patriotismus ist positiv

Vor bald 100 Jahren endete das „alte Österreich“, wie man die Habsburgermonarchie oft nennt. Bis heute wirken Teile ihres Erbes fort. Der Enkel des letzten Kaisers, Karl Habsburg-Lothringen, war wie sein Vater Mitglied des Europäischen Parlaments. Im Couleur-Interview spricht er über Subsidiarität, Rechtsstaatlichkeit und Patriotismus.

 

 

Deine Familie kommt ursprünglich aus der heutigen Schweiz. Deine Familie hat jahrhundertelang fast ganz Europa beherrscht und trägt den Beinamen Haus Österreich. Als Kind konntest Du in das heutige Österreich nicht einmal einreisen. Wie viel Österreich steckt heute in einem Habsburger?

Dazu muss man die Frage der Wurzeln genauer betrachten. Zwar liegen die Ursprünge meiner Familie sprachlich und geographisch in der heutigen Schweiz, inhaltlich dürften die Wurzeln aus Burgund aber wesentlich stärker abgefärbt haben. Dieses burgundische Erbe hat bei der Formierung des europäischen Kontinents eine sehr große Rolle gespielt. Philipp der Gute war sicherlich jener Mensch, der den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance besonders stark betrieben hat, zumindest für den Raum nördlich der Alpen – in Italien ist das natürlich etwas früher passiert. Er hat an einem völlig neuen Staatswesen gearbeitet. Wie stark das burgundische Erbe in meiner Familie ist, kann man etwa auch daran sehen, dass Karl V. stets unter burgundischer Flagge in die Schlacht segelte.

Wie hat sich dieses burgundische Erbe konkreter ausgewirkt?

Etwa darin, dass sich die habsburgische Macht mit Karl VI. stärker aus dem spanischen Raum in Richtung Mitteleuropa bewegt hat. Es wurde zu einer Grundlage für dieses Mitteleuropa. Ich verstehe daher die Begriffe Österreich und Mitteleuropa auch ein Stück weit kongruent.

Wie darf man sich das vorstellen?

Österreich ist für mich ein vielseitiger Begriff. Natürlich ein geographischer, aber nicht nur das. Für mich steht der Begriff Österreich auch dafür, eine übernationale Rechtsordnung mitgeprägt zu haben. Das Primat des Rechts ist durchaus Auswuchs dieses Erbes – und das beschränkt sich ja zum Glück nicht nur auf die Grenzen des heutigen Österreich. Um die Ausgangsfrage also nocheinmal konkreter zu beantworten: In diesem Kontext steckt sehr, sehr viel Österreich in mir drin.

Was genau verstehst Du inhaltlich unter dem burgundischen Erbe?

Nicht zuletzt den Begriff der Subsidiarität. Burgund war damals gezwungen, ein modernes Staatskonzept zu entwickeln, aus der Tatsache heraus, dass es über kein geschlossenes Staatsgebiet verfügte. Das Gebiet musste funktionieren, dass die einzelnen Territorien weitgehend autonom verwaltet werden konnten, aber dennoch als ein Ganzes funktionierten. Damit kann Burgund als Vorbild für das heutige Europa darstellen.

Du hast einen Vater, den jeder kannte – Kronprinz, Widerständler gegen Hitler und später Mitglied des Europäischen Parlaments für die CSU. Was hast Du von Deinem Vater mitgenommen, das spezifisch habsburgisch ist?

3Generationen

Drei Generationen auf einem Bild: Großvater Kaiser Karl, Vater Dr. Otto von Habsburg, Enkel Karl

Es hat sich vieles in der Erziehung abgespielt. Meine Eltern haben sehr viel Wert auf drei Bereiche gelegt: Erstens das Verständnis für Geographie und dafür, dass sie Vorgaben gibt, über die man sich nicht einfach hinwegsetzen kann. Das gilt auch für den zweiten Bereich, nämlich die Geschichte, die man nur im Kontext der Geographie verstehen kann. Es gibt den Begriff der Unausweichlichkeit der Geogrpahie, der bedeutet: Du bist irgendwo hineingesetzt und das hat Konsequenzen. Man kann nicht überall auf der Welt gleich handeln. Nur aus dem Verständnis daraus kann ich Schlüsse für die Zukunft ziehen. Die Möglichkeit, sich in einem solchen Koordinatensystem aus den Achsen Geographie und Geschichte zu positionieren, funktioniert aber nur mit dem dritten Bereich, nämlich der Religion, die uns sehr wichtig ist.

Gehen wir zum Begriff Mitteleuropa. Mancher könnte jetzt glauben, Du bezögest Dich auf das Habsburgerreich in den Grenzen vor 1918.

Mitteleuropa ist auf viele verschiedene Weisen definiert. Die heutige Definition der Europäischen Union, die darunter Deutschland mit einem kleinen Anhang im Südosten versteht, halte ich für völlig falsch. Mitteleuropa ist vielmehr eine übernationale Rechtsordnung, die sich im Herzen des Kontinents entwickelt hat, nicht zuletzt durch die Kulturen der hier ansässigen Völker. Durch das Zusammenleben dieser Völker hat sich eine höhere Toleranz gegenüber dem Anderen entwickelt, es gab aber natürlich immer wieder ein spezifisches Bedrohungsbild – etwa durch die Osmanen. Dadurch hat sich hier ein ganz eigener mitteleuropäischer Geist gebildet, der viele Kulturen und Religionen mittragen konnte. So war es etwa völlig normal, dass die Volkshymne völlig selbstverständlich in allen Sprachen der Völker gesungen wurde. Das war einzigartig – die Marseillaise auf bretonisch oder die britische Hymne auf gälisch zu singen, wäre völlig undenkbar gewesen. Ein Bild, das diese Toleranz gut darstellt, stammt aus dem ersten Weltkrieg: Da beten ein katholischer Priester, ein Feldrabbiner und ein Feldimam gemeinsam für die Unversehrtheit der Soldaten. Auch das war damals absolut einzigartig.

Wie kann man Mitteleuropa geographisch definieren?

Das ist letztlich schwierig. Mit Staaten geht das nicht. Die Visegradstaaten etwa wissen durchaus, dass sie allein nicht Mitteleuropa sind, schon alleine, weil Österreich nicht dabei ist. Für mich ist völlig klar, dass Mitteleuropa nur über Regionen definiert werden kann. Oft ist die Rede vom Donauraum, was natürlich auch nicht ausreicht. Bayern wäre da sicherlich zum Teil dabei. Die westliche Ukraine jedenfalls auch, die Ostukraine nicht mehr. Die Vojvodina gehört dazu, aber Serbien als ganzes nicht. Und in den Grenzregionen gibt es einige Grauzonen.

Grauzonen in Grenzregionen kennen wir auch aus den heutigen Nationalstaaten. Das Saarland, das Elsass, Teile des Burgenlandes, der slowenisch-kärntnerische Grenzraum – all das sind Beispiele, wo sie auftreten. Nun haben die Nationalstaaten nahezu alle europäischen Kriege der vergangenen 150 Jahre verursacht. Was verbindest Du mit dem modernen Nationsbegriff?

Zunächst muss man darauf hinweisen, dass nicht Staatsgebilde per se Kriege führen, sondern die Menschen darin, die natürlich Gefühle haben. Die Nationalstaaten waren ihrerseits stark verantwortlich für das Gefühl des Nationalismus, ein gewisses Überheblichkeitsgefühl für die eigene Nation, das zu diesen Konflikten geführt hat. Ich würde da aber weiter zurückgehen, nämlich zur französischen Revolution. Sie wird uns heute sehr positiv verkauft, stellt aber auch eine große Katastrophe dar, weil sie den überbordenden Nationalismus befeuert hat. Das gab es davor nicht. Von den Genoziden während dieser Zeit muss ich da gar nicht erst sprechen. Der Nationalismus zieht sich ab 1789 über die Weltkriege durch die europäische Geschichte durch.

Im Gespräch mit Couleur-Chefredakteur Philipp Jauernik

Im Gespräch mit Couleur-Chefredakteur Philipp Jauernik

 

 

 

Wie beurteilst Du den Nationalismus als solchen?

Er ist ohne Zweifel ein Gefühl, das der negativen Gefühlswelt entspricht. Er definiert sich durch Ausschließung anderer. Das stammt aus einer gewissen Ratio, weil das die Begründung für die Ablehnung anderer, für Kriege und Konflikte darstellt. Ich selbst bevorzuge den Patriotismus, der positiv ist, der die Liebe zum eigenen Land, zur eigenen Gemeinde betont, das andere aber nicht ablehnt. Der Nationalismus lebt von der Grenze zum anderen, der Patriotismus von der Zuneigung zum eigenen. Ich kann Patriot für meine Gemeinde, meine Region und mein Land sein, gleichzeitig aber auch europäischer Patriot. Das ermöglicht der Nationalismus rein logisch nicht.

Deine Mutter war Deutsche, Dein Vater lebte in Wien und Bayern, Du lebst in Salzburg. Wie definierst Du Deine eigene Identität?

Genau so, wie ich es zuvor beim Patriotismus gesagt habe: Es ist nicht notwendig, mich nur einer bestimmten Region zuzuordnen, sondern man kann sich in vielen Gegenden Europas oder der Welt heimisch fühlen. Für mich sind diese Regionen Europa, Mitteleuropa. Ich bin Mitteleuropäer und Europäer. Zu Salzburg habe ich als Ort die engste Beziehung.

1997 in Straßburg: Vater Otto war damals Mitglied des europäischen Parlaments für die CSU, Sohn Karl für die ÖVP.

1997 in Straßburg: Vater Otto war damals Mitglied des europäischen Parlaments für die CSU, Sohn Karl für die ÖVP.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Du bist 1989 beim paneuropäischen Picknick an der ungarischen Grenze gestanden. Wie empfindest Du solche Grenzen heute?

Das Gefühl für jemanden, der davor in einem Land eingesperrt war ist es besonders wichtig, dass diese Grenzen wegkommen. Wer in einem freien Land lebte, hat dieses Gefühl vielleicht weniger. Ein Gutteil der Bürger der USA hat keinen Reisepass, weil sie nie aus ihrem riesigen Land hinausgekommen sind. Dort ist das Verständnis für die Abschaffung der Grenzen viel geringer als bei uns.

Das Grenzregime in Europa wurde in jüngerer Vergangenheit stark debattiert.

Ja, und diese Debatten erschrecken mich. Die Manie mancher Menschen, Grenzen zu errichten, halte ich für sehr gefährlich. Diese Grenzen haben uns nicht gebracht. Wir wissen sachlich betrachtet ganz genau, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb Europas in Bezug auf die Sicherheit nichts bringt. Freiheit bringt mehr, als die Menschen einzusperren. Wir müssen stattdessen daran arbeiten, Schengen weiterzuentwickeln, die Außengrenzen der Europäischen Union effizient und stark zu sichern, aber innen die Freiheit ausbauen. Die Last der Außengrenzensicherung kann aber nicht nur bei den dortigen Staaten liegen, sondern sie muss gemeinschaftlich getragen werden. Grenzschutz, Sicherheits- und Außenpolitik sind Kompetenzen, die im Sinne der Subsidiarität am allerbesten europäisch gelöst werden müssen.

Stets im Austausch mit Politikern auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene: Habsburg 2017 in Graz mit MEP Lukas Mandl und Bürgermeister Siegfried Nagl. Subsidiarität ist eine der Kernbotschaften, für die sich Habsburg politisch engagiert - zu ihr gehört auch eine enge Kooperation der politischen Ebenen.

Stets im Austausch mit Politikern auf kommunaler, nationaler und internationaler Ebene: Habsburg 2017 in Graz mit MEP Lukas Mandl und Bürgermeister Siegfried Nagl. Subsidiarität ist eine der Kernbotschaften, für die sich Habsburg politisch engagiert – zu ihr gehört auch eine enge Kooperation der politischen Ebenen.

Das leuchtet vermutlich den meisten Menschen noch ein. Allerdings ist gleichzeitig der Begriff „europäische Lösung“ für viele Menschen längst zum Reizwort geworden. Die neue Bundesregierung betont den Begriff Subsidiarität stärker als viele zuvor.

Uns muss klar sein, dass Subsidiarität die einzige Lösung ist, unser System funktionsfähig zu erhalten und zu verbessern. Die Frage ist, wie man dieses Prinzip genau auslegt. Subsidiarität ist nicht damit erschöpft, die Beziehung zwischen nationaler und europäischer Ebene zu definieren. Sie ist ein Gesellschaftsprinzip, das davon ausgeht, Kompetenzen dort anzusiedeln, wo sie am besten erfüllt werden können. Die Frage „national oder europäisch“ greift daher zu kurz. Manche Dinge könnten von den Ländern, Bezirken oder Gemeinden viel besser gelöst werden als im Bund.

Dieser Ansatz geht jedenfalls tiefer, als es in der tagespolitischen Debatte erörtert wird.

Ja, ohne Zweifel. Ich habe, als ich im Europäischen Parlament war, dort vorgeschlagen, einen eigenen Subsidiaritätsausschuss zu bilden. Dort hätte, bevor eine neue Verordnung oder Richtlinie abgestimmt würde, einmal geklärt werden sollen, ob diese überhaupt dem Subsidiaritätsprinzip entspricht. Die Problematik erschließt sich sofort, wenn man die Institutionen betrachtet. Sie unterteilen sich in solche, die europäisch denken und in solche, die national denken. Der Europäische Rat denkt national – nämlich nach dem Prinzip, was der nationalen Ebene am meisten hilft. So kann Europa nicht funktionieren. Europa kann nicht nur national dominiert sein. Es braucht stärkere Regionen und eine europäische Ebene, die jene Kompetenzen, die dort am besten gelöst werden können, auch lösen kann, ohne dass jedes Mal ein nationalistisches Klein-klein losgeht. Wenn wir an die Flüchtlingskrise denken, so haben sich im Endeffekt die Mitgliedstaaten auf kein gemeinsames Vorgehen einigen können. Deshalb ist sie auch so ausgeufert. Das war aber nicht die Schuld der EU, sondern der national denkenden Mitgliedstaaten.

Mission in Lybien 2012: Kulturgüterschutz ist seit langer Zeit ein Herzensanliegen Habsburgs. © BlueShields

Mission in Lybien 2012: Kulturgüterschutz ist seit langer Zeit ein Herzensanliegen Habsburgs.
© BlueShields

Können die Institutionen im jetzigen Gefüge überhaupt sinnvoller arbeiten?

Das glaube ich schon. Wir haben ja hervorragende Verwaltungsstrukturen im regionalen und im kommunalen Bereich. Wir haben den Ausschuss der Regionen. Das müsste nur besser ausgearbeitet werden. Es darf sich nicht alles zwischen nationaler und EU-Ebene abspielen. Alle gesellschaftlichen Ebenen müssen zum Tragen kommen. Jede Entscheidung muss so nah wie möglich an jenen getroffen werden, die sie betreffen – und dort, wo sie die besten Ergebnisse erzielen. Es geht dabei nicht darum, die nationale Ebene abzuschaffen. Sie hat wichtige Aufgaben und Funktionen. Aber die Erfahrungen zweier Weltkriege haben uns gezeigt, dass der Nationalstaat sich innerhalb gewisser Grenzen aufhalten und nicht überborden soll. Heute sind wir aber wieder in einer Situation, wo sich die nationale Ebene auch in der EU eine enorme Machtposition erarbeitet hat.

Wie könnte ein besseres Institutionengefüge aussehen?

Die Gründerväter hatten viele wichtige Dinge im Auge – etwa Gewaltentrennung und Rechtsstaatlichkeit. Die Grundidee des Rates war, dass er die Rolle einer starken zweiten Kammer einnehmen sollte. Das wäre auch das logischste, dass die Staaten eine Vertretung haben. Dass der Rat aber begonnen hat, die Funktion der Legislative und auch der Exekutive zu übernehmen, so dass alle Entscheidungen letztlich nur aus der nationalen Ebene heraus passieren können, geht bis heute in die falsche Richtung.

Was würde das bedeuten?

Die parlamentarische Geschichte zeigt, dass zweite Kammern – etwa der Bundesrat – eine sehr wichtige Funktion haben, als Korrektiv. Stattdessen dominiert der Rat alles. Besser wäre es, wenn sich die Kommission auf Exekutivaufgaben beschränken würde, das Parlament als direkt gewählte demokratische Repräsentanz das Initiativrecht erhält und der Rat daneben als Kontrollorgan fungiert.

Paneuropa-Symposion 2015: Mit Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn in Wien

Paneuropa-Symposion 2015: Mit Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn in Wien.

Wie beurteilst Du das heutige Image der EU?

Viel zu oft hat die nationale Ebene in den vergangenen Jahren dazu geneigt, die Schuld für Dinge, die nicht gut funktionieren, in Brüssel zu suchen. Solcherart findet eine Negativkampagne gegen Europa statt. Gleichermaßen ist seit längerer Zeit eine antieuropäische Kampagne diverser fremder Agenten zu beobachten, die sich als Nachrichtenmagazine tarnen und mit Halbwahrheiten und Fehlinformationen gezielt Stimmung in Europa machen. Wir brauchen ein europäisches Aufwachen hinsichtlich externer Propaganda. Vielleicht wäre es gut, wenn 3Sat oder arte auch in Fremdsprachen senden könnten – beispielsweise etwa ukrainisch, serbisch oder russisch. Wir dürfen uns Europa nicht schlechter reden lassen als es ist – und sollten auch einige Vorurteile in Nicht-EU-Staaten über dieses Europa korrigieren.

Hätten wir heute noch die Monarchie, wärest Du wahrscheinlich Kaiser. Ist das überhaupt ein erstrebenswertes Amt?

Wenn man realistisch überlegt, was die Funktion mit sich bringt, kann man sie eigentlich nicht haben wollen. Dann kann man sie nur als Verpflichtung auffassen, die man einem Land und einem Volk gegenüber hat und sie aus der Geschichte und den Werten heraus betrachten. Monarch zu sein ist nichts, das man anstreben kann. Mein Vater hat ja oft gesagt, dass er die meisten seiner Aktivitäten als Monarch nicht hätte durchführen können, deshalb war ihm die Gnade gegeben, dass er die Funktion nicht übernehmen musste.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe 1/2018 des „Couleur„.