Europa bedeutet Aussöhnung. Nun sind Serbien und Kosovo an der Reihe!

Wenn es eine Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg gibt, dann die Aussöhnung ehemaliger Feinde. Ziel ist nun der Balkan.

Ein Kommentar von Stefan Haböck, Internationaler Referent der Paneuropa Bewegung Österreich

Als Helmut Kohl vor kurzem verstarb, wurden Erinnerungen wach an die Zeit, in der er als deutscher Kanzler maßgeblich die Politik in Europa mitgestaltet hat. Neben den so üblichen Lobreden auf einen großen Politiker, der dem Land Jahrzehnte gedient hat, bleibt von Helmut Kohl, dem Ehrenbürger Europas, wohl ein Bild dauerhaft in Erinnerung.

Ein Bild geht um die Welt und schreibt Geschichte

Am 22. Juni 1984, zum 40. Gedenken an die Schlacht von Verdun, waren der französische Staatspräsident Francois Mitterand und der deutsche Bundeskanzler Kohl vor dem Beinhaus von Douaumont. Verdun war nicht der Abgrund zur Hölle, es war die Hölle selbst. Ein Gemetzel sondergleichen in der so blutigen deutsch-französischen Geschichte. Europa – in seiner schlimmsten Gestalt. Plötzlich, für alle Anwesenden unerwartet, reichten Mitterand und Kohl einander die Hand. Diese Geste im Anblick der Opfer des Schlachtens des Zweiten Weltkrieges machte endgültig deutlich: Es gibt keine Erbfeinde mehr. Es gibt nur mehr Freunde.

Aussöhnung. Das Fundament der Europäischen Union.

Aussöhnung. Dieses Wort steht, neben Frieden, wie kaum ein anderes für das moderne Europa. Manifestiert auch, aber nicht nur, in der Europäischen Union. Nicht nur das Bekenntnis, in Zukunft gut miteinander zu arbeiten, ist hier entscheidend, sondern das Eingeständnis: Ja, wir haben schreckliche Dinge verbrochen. Wir vergeben unseren Nachbarn. Wir entschuldigen uns bei den Opfern und wir gedenken in Respekt und setzen alles daran, das so etwas nie wieder geschieht.

14 Jahre später, 1998, begann der offizielle Krieg zwischen der serbischen Streitkräfte der Bundesrepublik Jugoslawiens und die Kosovarische Befreiungsarmee (UCK). An der Spitze Jugoslawien stand zu dieser Zeit der sozialistische Diktator Slobodan Milosevic.

Nach der Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens und der im Dayton Vertrag 1995 festgelegten Schaffung der Entitäten Bosnien-Herzegowina mit dem serbischen Teil Republik Srpska, fokussierte sich der Konflikt auf den albanischen Teil – den Kosovo. 2000 musste Milosevic dem Druck im eigenen Land weichen und zurücktreten. 2001 wurde er verhaftet und an das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ausgeliefert.

Vom Radikalen zum Hoffnungsträger Serbiens – Aleksandar Vucic

In dieser Zeit, 1998 – 2000, war ein Mann serbischer Informationsminister, der heute der europäischen Politik als Hoffnungsträger für ein Serbien in der EU gilt: Aleksandar Vucic. Dieser wandte sich von der Serbisch Radikalen Partei (eine extremistische, nationalistische Partei Serbiens) ab und wurde Vorsitzender der Serbischen Fortschrittspartei SNS. Sein Ziel: Serbien in die EU zu führen. Der Wandel vom Mitglied der Radikalen und Minister der Marjanovic-Regierung kam für viele schnell. Zu schnell?

Faktum ist: Die SNS unter Vucic verhandelte mit der EU und dem Kosovo erste Verträge über den Status der seit 2008 unabhängigen Republik. Zwischen nationalistischen Tönen hochrangiger serbischer Politiker, vor allem von Seiten des Staatspräsidenten Nikolic, gab es doch auch Signale der Öffnung. Trauriger Höhepunkt war jedoch die Entsendung eines Zuges mit nationalistischen Parolen von Belgrad Richtung Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo. – verbunden mit der Drohung von Nikolic, die serbische Armee zu schicken.

Diese Woche verfasste Vucic, mittlerweile Staatspräsident des EU-Beitrittskandidaten Serbien, einen Artikel in einer Zeitung, in der er betonte, dass Serbien und seine Bürger endlich einen internen Dialog über die Beziehung zum Kosovo bräuchten und dass man den Realitäten ins Auge blicken muss anstatt weiterhin den Kopf in den Sand zu stecken. Natürlich kein Wort über die Anerkennung des Kosovo – aber, man muss bedenken, welchen Wert solche Worte des Staatspräsidenten haben.

Serbien – stabil, aber innerlich zerrissen

Das Umfeld in Serbien ist schwierig. Die wirtschaftliche Entwicklung ist zwar positiv, Serbien ist sicherlich das stabilste Nicht-EU-Mitglied am Balkan. Dennoch klaffen noch die Wunden des Zerfalls Jugoslawiens. Sei es, weil der Traum von Großserbien blutig begraben wurde oder weil man ebenfalls Opfer zu beklagen hat. In einem Krieg leidet immer die Zivilbevölkerung am meisten. Zudem besteht zu Russland ein traditionell positives Verhältnis, bedingt sicherlich auch durch die Orthodoxie. Die Zukunft soll aber EU heißen. Eine Debatte über das Verhältnis des Landes zu Europa und zu Russland ist notwendig. Am Thema der von der EU erlassenen Sanktionen gegenüber russischen Politikern, Oligarchen, Militärs und Technologiefirmen, die an der Annexion der Krim beteiligt waren, scheiden sich die Geister.

Wenn sich daher die führenden Politiker Serbiens und des Kosovo in Brüssel treffen um gemeinsam Abmachungen aus zuverhandeln, ist das mehr als nur ein normales Treffen zwischen Staats- und Regierungschefs. Man muss bedenken: Hier Vucic, der Informationsminister unter Milosevic, dort Hashim Thaci, Staatspräsident des Kosovo und ehemaliger Anführer der UCK. Der Krieg trennte beide, Europa zwingt sie nun zum Gespräch.

Am Weg nach Europa ist die Versöhnung Pflicht

Es wird für Serbien und Kosovo sowieso keine andere Möglichkeit geben als aufeinander zu zugehen und sich die Hand zu reichen. Streitigkeiten gehören an den „grünen Tisch“, wo man gemeinsame Lösungen finden muss. Wenn das die politischen Gruppierungen beider Länder verinnerlichen, dann ist viel möglich.

Meines Erachtens wichtigstes Kriterium ist aber nicht eine wirtschaftliche Stabilität. Oder eine Reform der Justiz. Oder der Kampf gegen Korruption. Das sind Themen, die jeden Tag massiv betrieben werden müssen und ohne die es nicht gehen kann.
Nein, wichtigste Hürde, die die Politik und die Bürger beider Länder zu nehmen haben, ist die Aussöhnung.

Es liegt in den Händen der Regierungen und Parlamente beider Länder zu dem Geschehenen zu stehen, die Geschichte aufzuarbeiten, Gemeinsamkeiten zu suchen, die Hand zu reichen und gemeinsam nach Europa gehen. Dieser Weg ist hart, traurig und schmerzhaft. Das Leid ist noch allgegenwärtig. Männer und Brüder, die aus dem Krieg nicht nach Hause kamen. Heimat, die zerstört wurde. Dennoch: Es muss gemacht werden. Sämtliche Provokationen sind einzustellen und zu verdammen.

Man stelle sich vor, denn Träumen ist erlaubt, in wenigen Jahren sehen wir Bilder aus Racak oder Srebrenica. Wo die Vertreter der Länder des ehemaligen Jugoslawiens der Opfer ehrlich gedenken. Und einander die Hand reichen, wie einst Kohl und Mitterand.