Die Niederlage der Machtbesessenheit

Sie wollte die Mehrheit ihrer Partei im Parlament ausbauen, um so gestärkt in die Brexit-Verhandlungen gehen zu können. Und sie wollte ihre parteiinternen Kritiker loswerden. Nun steht die britische Premierministerin Theresa May vor den Scherben ihrer Machttaktik. Die Tories haben ihre absolute Mehrheit nicht ausbauen können, sondern haben sie verspielt. Keine der Parteien hat eine absolute Mehrheit im britischen Unterhaus erreichen können. Verloren hat übrigens auch die Schottische Nationalpartei. Analysten sagen, das sei die Angst vor der ungewissen Zukunft gewesen, wenn die SNP ein weiteres Referendum zum Austritt aus dem Vereinigten Königreich angestrebt hätte.

Ein Kommentar von Rainhard Kloucek

Theresa May tritt damit in die Fußstapfen ihres Vorgängers als Premierminister David Cameron. Der hatte auch eine Mehrheit im Parlament, wollte seine parteiinternen Kritiker loswerden, hat deshalb das Brexit-Referendum angesetzt, und ging allen Umfragen glaubend davon aus, dass seine Landsleute schon für den Verbleib in der EU stimmen würden. Es kam anders als erwartet.

Macht ist die wohl wichtigste Kategorie in der Parteipolitik. Die Sucht sie auszubauen ist nun zwei britischen Premierministern innerhalb kürzester Zeit zum Verhängnis geworden. Sie sind aber kein Einzelfall. Man denke an den damaligen französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac und sein Referendum über die EU-Verfassung. Angesetzt hat er es, weil alle Umfragen darauf hindeuteten, dass eine satte Mehrheit der Franzosen für den Verfassungsvertrag stimmen würden. Der machtbewusste Chirac wollte damit seinen Glorienschein noch heller strahlen lassen. Das Ergebnis ist bekannt, die Franzosen haben sich gegen die Verfassung ausgesprochen, nicht weil sie unbedingt gegen die Verfassung waren, sondern weil sie ihrem Präsidenten eines auswischen wollten. Manchesmal lassen sich die Wähler manipulieren und für den Machtanspruch eines Politikers benutzen. Aber nicht immer.

Wer auch immer nun mit wem eine Regierung in Großbritannien bilden wird. Gerüchten zufolge will May mit der Unterstützung der nordirischen Democratic Unionist Party DUP eine Minderheitsregierung bilden, also ohne formale Koalition. Der bekannteste DUP-Politiker war Ian Paisley, ein grauenhafter Hetzer, der auch dem Europäischen Parlament angehörte. Otto von Habsburg hat einmal mitgeholfen, ihn aus dem Plenarsaal zu werfen.

Eine wirklich starke Position für die Austrittsverhandlungen wird diese Regierung nicht haben. Das könnte einige Machtpolitiker in der EU dazu verleiten, mit etwas zuviel Machtbewusstsein diese Verhandlungen zu führen. Europa kann jedenfalls kein Interesse an einem schwachen Großbritannien haben. Der Gründer der Paneuropa-Union, Richard Coudenhove-Kalergi, wusste das. Ein vereintes Europa dürfte sich niemals gegen das Vereinigte Königreich richten, meinte er. Auch wenn er ursprünglich Großbritannien aufgrund des Empire nicht als Mitglied des vereinten Europa sah, war er doch für eine gute Partnerschaft mit dem Inselstaat.