Deutschland: Das Ende der Konsensrepublik

Die Bundestagswahl brachte einen völlig veränderten Bundestag hervor. Das hat einige klare Ursachen – und mehrere spannende Folgen. Eine Analyse von Eva Demmerle.

Nicht, dass man es nicht erwartet hätte. Ein Freund postete heute Morgen auf Facebook ein Zitat von Seneca: „Schimpflich ist es, nicht zu gehen, sondern sich treiben zu lassen und mitten im Wirbel der Dinge verblüfft zu fragen: Wie bin ich bloß hierhergekommen?“ Es war absehbar, dass die einstmals großen Volksparteien abgewatscht würden und die kleinen gewinnen. Die Regierungsbildung wird bei der gestern gewählten politischen Konstellation so schwierig wie schon lange nicht mehr.

Die Gewinner der Wahl sind die FDP, die mit zehn Prozent den Wiedereinzug in den Bundestag schaffte und die AfD, die mit 13 Prozent in das deutsche Parlament katapultiert wurde. Die SPD hat mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis seit der Gründung der Bundesrepublik eingefahren, das war dann wohl der Schulz-Effekt. Beleidigt zieht man sich nun zurück und geht in die Opposition, obwohl auch hier das letzte Wort noch nicht gesprochen scheint. Warten wir einmal die nächsten Monate ab.

Die Union in der Krise

Verheerend ist das Ergebnis für die Union. 8,5 Prozent an Stimmverlusten haben auch hier zu einem der schlechtesten Unionsergebnisse aller Zeiten geführt. Die Ursachenforschung findet wohl hinter verschlossenen Türen statt, in den öffentlichen Statements war davon nichts zu hören. Ganz im Gegenteil, die kühne Behauptung, die erfolgreiche Politik der Regierung Merkel sei bestätig worden, greift um sich. Einen Spitzensager brachte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet auf die Frage im ZDF, ob die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zu diesem miesen Ergebnis geführt habe: „Nein, die Flüchtlingspolitik war richtig. Es war richtig, die Außengrenzen zu schützen.“ Deutlicher lässt sich der Realitätsverlust kaum darstellen. Also „Weiter so!“

CDU/CSU mussten herbere Verluste hinnehmen als die SPD. Angela Merkel wird wohl Kanzlerin bleiben. Foto: Sandro Halank

Auch die CSU, sonst die stete und zuverlässige Prozentbeschafferin für die Gesamt-Union hat kräftig Federn lassen müssen, über zehn Prozent verlor sie an andere Parteien. Rasch machte das Wort von der offenen rechten Flanke, die man rasch schließen müsse, die Runde. In früheren Zeiten wurde bei solchen Wahlverlusten schnell die Frage nach der Führungskompetenz gestellt und Rücktritte gefordert. Doch bisher kein Wort davon bei den Unionsparteien, ist doch bei beiden klar, dass es an personellen Alternativen mangelt. In der CDU, weil Merkel alle möglichen Konkurrenten ausgeschaltet hat – und in der CSU scheint auch Söder keine wirkliche Alternative.

Wählerströme weg von der CDU  – links der Mitte bleibt’s stabil

Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 hat die Union nun nahezu ein Viertel ihrer Wähler verloren. Da spielt die Migrationspolitik eine große Rolle, aber nicht die einzige. Hier brach sich auch über viele Jahre hinweg angestauter Frust seine Bahn: Konservative, wirtschaftsliberale und christlich orientierte Wähler kehrten der CDU nun ihren Rücken. Allein die Volte von Merkel zur „Ehe für Alle“ Anfang Juli setzte dem Entfremdungsprozess noch die Krone auf.

Überraschend war, dass sich die Grünen entgegen aller Umfragen stabilisieren und sogar leicht zugewinnen konnten. Auch die Linke, Nachfolgerin der SED, ist stabil geblieben, hat aber gerade in den östlichen Bundesländern Federn lassen müssen zugunsten der AfD.

Starkes AfD Ergebnis – schwache AfD-Fraktion?

Kein Überraschungssieger ist die AfD. Mit 13 Prozent schaffte sie den Einzug in den Deutschen Bundestag und dies war auch das alles beherrschende Thema in den Medien, die wiederum so taten, als sei dies eine große Überraschung. Aber nochmal zur Erinnerung: Die AfD war im Juni 2015 so gut wie politisch tot. Die Politik der offenen Grenzen im Herbst 2015 wirkte dagegen wie ein einziges Wiederbelebungsprogramm für die AfD.

Verlauf_der_Mittelwerte

Wer jetzt, wie viele mediale als auch politische Kommentatoren, evoziert, dass es sich um eine Partei der Abgehängten handelt, zeigt, dass er den Kontakt zur Realität im Land schon längst verloren hat. Die Wählerbewegungen belegen das: Die AfD sog den Wählernektar aus jeder Partei, ca. 30 Prozent der CDU-Wähler von 2013 machten nun bei der AfD das Kreuz, zehn Prozent der SPD-Wähler. Am allermeisten profitierte die „Alternative“ allerdings von den Nichtwählern, eine Entwicklung, die den alten Volksparteien zu denken geben müsste.

Wie sich die AfD im Bundestag entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Von Einigkeit kann in dieser Partei nicht die Rede sein. Vorläufig sorgte Parteivorsitzende Frauke Petry, die einen Direktwahlkreis in Sachsen gewonnen hat, bei der heutigen Pressekonferenz für einen Eklat: sie kündigte an, nicht der AfD-Fraktion im Bundestag angehören zu wollen.

Prognose & Fazit: Es wird wieder spannend!

Meine Prognose: Die Kanzlerin wird nun auf allen Wegen versuchen, die SPD doch noch zu einem Einlenken zu bewegen. Deren Vorsitzender Schulz und die wahrscheinliche Fraktionsvorsitzende Nahles werden den Preis hochtreiben. Sollte Merkel diesen Preis aufgrund der CSU-Forderungen nicht zahlen können oder wollen, wird sie – allein, um an der Macht zu bleiben – sowohl der FDP als auch den Grünen alle möglichen Versprechungen in den Koalitionsverhandlungen machen.

Dies wird eine Rückprofilierung der Union zu ihrem Markenkern weiter verhindern, die Unzufriedenheit der Stammklientel wird weiter steigen.  Dass die Inhalte der FDP und der Grünen nicht zusammenpassen, ist eine Binsenweisheit. Freiheitsliebend und marktorientiert die eine, etatistisch die andere Partei. Es wird dann ganz auf das Standvermögen der FDP ankommen. Vielleicht dürfen wir dann auch zeitnah mit Neuwahlen rechnen.

Auf jeden Fall – und das allein ist die gute Nachricht des gestrigen Wahlabends – ist die Konsensrepublik nun am Ende. Wir können uns wieder auf politische Debatten freuen.

Eva Demmerle ist Historikerin, Publizistin und PR-Managerin. Von 1995 bis 2011 war sie  Büroleiterin, Assistentin und Pressesprecherin Otto von Habsburgs. Ihr jüngstes Buch „Kaiser Karl, Mythos & Wirklichkeit“ erschien 2016 im Wiener Amalthea-Verlag.

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